Historische Schutzbauten

Stuttgart unterirdisch

Die orange-beige Blumentapete löst sich von der Wand, ein rosa-grün karierter Lampenschirm hängt schief an der Decke und am Boden lauern zentimetertiefe Wasserpfützen. Die Wände sind kahl, die hundert Zimmer leer und von Schimmel befallen.

Das Bunkerhotel am Marktplatz
Vor einem halben Jahrhundert sah hier noch alles ganz anders aus. Da war das Bunkerhotel am Stuttgarter Marktplatz voller Leben und stets ausgebucht. Die Übernachtung dort war recht billig und es hatte regelrechten Kultstatus, in diesem fensterlosen Hotel eine Nacht zu verbringen.

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(Bild: Werner W. Lorke e.e.t)
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Die Tapetenschichten hängen von den Wänden - der Stil vergangener Jahre kommt zum Vorschein. (Bild: Werner W. Lorke e.e.t)
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Beklemmende Erinnerungsstücke. (Bild: Schutzbauten Stuttgart)
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(Bild: Schutzbauten Stuttgart)
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Nostalgie macht sich breit. (Bild: Schutzbauten Stuttgart)
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Der Eingang zum Bunkerhotel auf dem Stuttgarter Marktplatz. (Bild: Hannes Kilian, Haus der Geschichte Baden-Württemberg)
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(Bild: Foschungsgruppe Untertage e.V.)

Ein ruhiger Ort um Romane zu schreiben
Oder gleich mehrere Wochen, wie der Schriftsteller Wolfgang Koeppen. Er schrieb dort in einem sechs Quadratmeter kleinen Zimmer von April bis Mai 1953 seinen Roman „Das Treibhaus“ fertig. Taxifahrer erzählen noch heute von amerikanischen Touristen, die sich im legendären Bunkerhotel einquartieren wollen, so wie es ihre Väter schon nach dem Krieg getan hatten.

Schutz vor Bombenanschlägen
Erbaut wurde der Tiefbunker – fünf Meter unter der Erde – Anfang der 1940er Jahre. Er bot damals bis zu 3.000 Menschen während der Bombenanschläge des Zweiten Weltkrieges Zuflucht. Nach dem Krieg waren Wohnungen und Hotels Mangelware, so dass 1945 mit dem „Hotel am Marktplatz“ der Tiefbunker eine neue Nutzung bekam.

Übernachtung mit Frühstück
Etwa 50 Mark mussten die Gäste in den 1980ern schließlich für eine Übernachtung mit Frühstück im Bunkerhotel bezahlen. Die anstehenden Renovierungskosten von damals drei Millionen Mark konnte der Betreiber allerdings nicht aufbringen, sodass das Hotel zum 1. Juni 1986 schließen musste.

Verschimmelte Dekoration und kahle Gänge
Inzwischen dient der Bunker während des Weindorfes und des Weihnachtsmarktes zur Stromversorgung einiger Stände. Die unterirdischen kahlen Gänge, die verschimmelte Dekoration und die bröckelnde Tapete – je weniger vom einstigen Hotel übrig bleibt, desto mehr tritt wieder der Bunker als Ort der Zuflucht, der Angst, der Unbehaglichkeit hervor.

Großes öffentliches Interesse
Für die Öffentlichkeit ist er nur sehr selten zugänglich. Aber wenn die Türen geöffnet werden, bilden sich hunderte Meter lange Schlangen, die geduldig darauf warten, ins ehemalige Bunkerhotel eintreten zu dürfen.

Tiefbunker, Stollen und Mehrzweckanlagen
Mit dem Marktplatzbunker gibt es heute insgesamt noch 45 Schutzbauten in Stuttgart, die sich in der sogenannten Zivilschutzbindung befinden. Dazu zählen Hoch- und Tiefbunker, Stollen sowie Mehrzweckanlagen. Letztere sind Schutzbauten, die noch für eine weitere Nutzung bestimmt sind.

S-Bahn-Station Stadtmitte hat ein zweites Gesicht
Die Wenigsten aber kennen deren Doppelleben, wie das der S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte. Dort ist der gesamte Bahnsteigbereich ein Schutzraum. Im Notfall können die Fahr- und Gehtreppen zu dem S-Bahn-Geschoss durch zwei Tore verschlossen werden.

Platz für 4.500 Menschen
Die Krankenräume befinden sich in der Ebene des Rotebühlplatzes, in der Zwischenebene sind die Toiletten und die Waschräume. Das S-Bahn-Geschoss dient als Aufenthaltsraum für 4.500 Menschen, von denen etwa zwei Drittel in vierstöckigen Betten auf dem Bahnsteig und ein Drittel in zwei S-Bahn-Langzügen einquartiert werden können.

Tore, die bei Gefahr geschlossen werden können

Der letzte und gleichzeitig größte Schutzraum, der in Stuttgart gebaut wurde, ist die untere Hälfte – aus der Stadtmitte kommend – des Heslacher Tunnels. Am Beginn und etwa in der Mitte sind Tore eingebaut, durch die der Tunnel abschließbar ist.

Sogar Rettungsfahrzeuge passen durch die unterirdischen Gänge
In einem unscheinbaren Gebäude neben einer Wohnsiedlung liegt einer der Eingänge zum Fluchtstollen. Zur Erhöhung der Sicherheit wurde das bestehende Fluchtstollensystem erweitert, sodass nun auch Rettungsfahrzeuge hindurch kommen.

Edle Tropfen lagern im Bunker

Weiter nordöstlich – unter dem Cannstatter Kurpark – war während des Zweiten Weltkrieges auch ein Luftschutzbunker. Dieser wird inzwischen vom Weingut der Stadt Stuttgart genutzt. In den unterirdischen Gängen, die bis zu 50 Meter lang und über vier Meter hoch sind, lagern nun edle Tropfen.

Der Hochbunker "Bosch-Turm"
Seit Anfang der 1990er reifen dort die Weine unter optimalen Temperaturen heran. Der Lagerbestand geht sogar bis auf das Jahr 1959 zurück. Den Hochbunker am Pragsattel, der auch „Bosch-Turm“ genannt wird, kennen viele von außen vom Vorbeifahren.

Wendeltreppen führen bis auf das Dach
Im Inneren verlaufen zwei gegenüberliegende Wendeltreppen, mit denen man die sieben Etagen bis auf das Dach hinaufsteigen kann. Dort befinden sich noch heute Überreste einer Flakstellung. Darüberhinaus verfügt das Bauwerk über einen Aufzug, der aber schon vor vielen Jahren außer Betrieb genommen wurde.

Ein Bunker wird zum Museum

Ein weiterer Hochbunker ist der Winkelturm in Feuerbach, der inzwischen als Museum des Vereins Schutzbauten Stuttgart e.V. dient. Der Verein widmet sich der Geschichte und der Dokumentation der Stuttgarter Schutzbauwerke.

Erinnerung an leidvolle Stunden

Er sucht die Auseinandersetzung mit diesem Erbe und möchte an die Schicksale von vielen tausend Menschen erinnern, die darin im Krieg leidvolle Stunden erlebten. In der Ausstellung wird die Zeit des Luftschutzes und seiner Bauwerke während des Zweiten Weltkrieges gezeigt.

Orginial-Bomben erinnern an den Zweiten Weltkrieg
Neben Exponaten von damals kann auch ein Pionierstollennachbau besichtigt werden. Der Gang durch die Trümmerlandschaft mit Originalbomben aus dem Zweiten Weltkrieg hinterlässt einen beklemmenden Eindruck.

Die Stadt trifft Vorsorge für einen Gefahrenfall
Im Tiefbunker Feuerbach hingegen fühlen sich die Besucher in die Zeit des Kalten Krieges zurück versetzt. Da das Bauwerk auch heute noch in der Zivilschutzbindung ist, erfahren sie, welche Vorsorge der Staat für einen Gefahrenfall getroffen hat.

Wie wäre ein Bunkeraufenthalt heute?
Die Ausstattung zeigt auch, wie das Leben in einem Schutzraum bei einer Belegung heutzutage wäre. Führungen durch die Stuttgarter Schutzbauten finden von Februar bis November jeden letzten Sonntag im Monat statt. (EE)

Weitere Informationen:
www.schutzbauten-stuttgart.de

05.09.2009
(Ausgabe September 2009)