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Eine Versammlung des Schwerhörigenvereins Stuttgart e.V. in den 1950er-Jahren. (Bilder: Schwerhörigenverein Stuttgart e.V.)
Erfahrungsaustausch im Schwerhörigenverein
Stuttgarts Schwerhörigenverein feiert 100-jähriges Jubiläum
Wenn die Welt nicht mehr zu hören ist und jedes Gespräch unabdingbar zu einer echten Herausforderung wird, erkennt man, wie wichtig der Hörsinn für Kommunikation ist. Doch so selbstverständlich, wie wir ihn nutzen, ist er nicht. Nahezu 20 Prozent der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre sind in verschiedenen Schweregraden schwerhörig. In Stuttgart finden Betroffene beim Schwerhörigenverein Stuttgart e.V. Hilfe und Rat. 315 Vereinsmitgliedern steht das David-Wengert-Haus in Stuttgart- Vaihingen als Ort des Austauschs und Miteinanders zur Verfügung.
Erfahrungsaustausch unter Betroffenen
Der Schwerhörigenverein versteht sich als Zentrum für Hörgeschädigte. Seit 1911 wird hier ehrenamtlich Hilfe zur Selbsthilfe angeboten. Das bedeutet vor allem eines: Viele Erfahrungen sammeln und weitergeben. Für Andreas Hüster, erster Vorsitzender des Schwerhörigenvereins, spielt dieser Erfahrungsaustausch eine wichtige Rolle: „Die Erfahrung und das Wissen, dass man mit seiner Behinderung nicht allein ist, macht es viel einfacher, sich mit seiner Behinderung auseinanderzusetzen und sie anzunehmen und zu akzeptieren.“ Es tue den Betroffenen gut, barrierefrei mit anderen Menschen zu kommunizieren und nicht ständig an seine Grenzen erinnert zu werden. Dies geschieht auch über das Kommunikations- und Beratungszentrum für Hörgeschädigte, das seit März 2011 durch den Deutschen Schwerhörigenverbund e.V. zertifiziert ist. Damit sind die Stuttgarter bundesweit erst die zweite ehrenamtlich geführte Beratungsstelle, die das Zertifikat überreicht bekam. Entscheidend für den Erfolg des Beratungszentrums ist auch, dass die Mitarbeiter selbst von Hörschädigungen betroffen sind und nach der Methode „Behinderte beraten Behinderte“ arbeiten.'
Stärkung des Selbstbewusstseins
„Wir motivieren betroffene Menschen zur aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Hörschädigung, um ihr Selbstvertrauen zu stärken und ihre kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern. Sie können regelmäßige Treffen in entspannter Atmosphäre wahrnehmen, die eigene Isolation überwinden und neue Wege gehen“, erklärt Laura Hüster- Leibbrand, Leiterin des Kommunikations- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte. Der Erfolg des Vereins lässt sich also im persönlichen Miteinander der Vereinsmitglieder ausmachen. „Oft berichten unsere Mitglieder, dass der Austausch im Schwerhörigenverein Stuttgart e.V. ihr Selbstwertgefühl sehr gestärkt hätte, sie dort Freunde und Vorbilder fanden“, erzählt Laura Hüster-Leibbrand. Um sich auszutauschen, gibt es reichlich Gelegenheit. Denn die Mitglieder sind sehr aktiv und unterhalten viele Vereinsgruppen. „Die Gruppen entstehen aus Eigeninitiative. Sie werden alle von Vereinsmitgliedern geleitet“, erzählt Dieter Neumann, zweiter Vorsitzender des Schwerhörigenvereins.Freude bei Freizeitaktivitäten
Ob Fußball, Volleyball oder Badminton, Schach, Tischtennis, Bowling oder Kegeln – Sportler kommen auf ihre Kosten. Und das äußerst erfolgreich: „Die Sportler nehmen jedes Jahr an den Meisterschaften des Deutschen Schwerhörigen Sportverbandes teil. Seit Jahren gelingt es uns immer wieder, Meistertitel nach Stuttgart zu holen“, berichtet Andreas Hüster. Weitere Freizeitgruppen, die regelmäßig gemeinsame Stunden verbringen, sind zum Beispiel die Motorrad begeisterte Gruppe Akustik-Biker. Wer es entspannter mag, findet beim Basteln oder Malen Gelegenheit, mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten. Und auch beim Senioren-, Jugend- oder Familientreff trifft man auf Gleichgesinnte. Einen Erfahrungsaustausch über den Umgang mit Hörschädigungen im Berufsalltag bietet die Gruppe Berufsleben. Und selbst die Ohren kommen nicht zu kurz: Die Trommelgruppe des Schwerhörigenvereins trifft sich zum monatlichen Üben im Vereinshaus. „Schon auf manchen privaten Geburtstagsfeiern, Kirchentagen, Weihnachtsfeiern und Sommerfesten konnten wir unsere Stücke vortragen“, erzählt Laura Hüster-Leibbrand.
Treffpunkt und Kurse
Das David-Wengert- Haus sei dabei „ein Treffpunkt für alle Arten von barrierefreien Selbsthilfeaktivitäten, Fach- sowie Infoveranstaltungen“. Ebenso gibt es mehrere Vereinsgruppen, die sich mit der Technik rund um Hörsysteme oder andere Hilfen auseinandersetzen. Auch die Kommunikation hörgeschädigter Personen spielt eine Rolle. Hierfür werden Kurse in Absehen und lautsprachbegleitenden Gebärden angeboten. Die Verständigung mittels Absehen geschieht über das Erkennen der Lippenbewegungen und deren Übersetzung in Worte und Sätze. Auch die Mimik und Gestik des Sprechenden fließen in den Gesprächsinhalt ein. Unter den lautsprachbegleitenden Gebärden versteht man die simultan zum gesprochenen Wort ausgeführten Gebärden.100-jähriges Bestehen feiern
In diesem Jahr feiert der Verein sein 100-jähriges Bestehen, das unter dem Motto „100 Jahre ... wir hören nicht auf!“ steht. Das Jubiläum wird an zwei Tagen mit einem großen Aktionsprogramm gefeiert. Am 28. Mai 2011 läutet ein ökumenischer Festgottesdienst die Feierlichkeiten im Bürgerhaus Möhringen ein. Begleitet wird er vom Gebärdenchor des Diakonischen Werkes. Im Anschluss richtet unter anderem der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, Dr. Wolfgang Schuster, ein Grußwort an die Anwesenden. Darauf folgend finden am Nachmittag Fach-Symposien mit Vorträgen aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Rehabilitation und Selbsthilfe statt. Bei der Abend-Gala wird ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm geboten Auf der abschließenden Jubiläumsparty im David-Wengert- Haus können die Gäste die Nacht dann ausklingen lassen. Für einen guten Start in den nächsten Tag lädt der Verein am 29. Mai 2011 zum Frühshoppen ins Vereinshaus ein. (MT)
Schon in den 1930er-Jahren trafen sich die Mitglieder.
Das David-Wengert-Haus in Möhringen.
20.05.2011
(Ausgabe 21. Mai 2011)