Kolumne Klaus Birk

Alles super, alles Stuttgart: Geschluckte Siege

Klaus Birk, Kabarettist

WM Berlin. Da tobt das Land da hüpft die Stimmung. Weltrekord. Über hundert Meter. Zweihundert Meter. Vier mal hundert. Es weltrekordet über die Tartanbahn. Glück wogt durch die Welt.

Und jetzt kommen da welche und behaupten, es ginge nicht mit rechten Dingen zu. Wie kommen die auf so was? Bei der guten Stimmung. Es kann nicht sein, was keiner isst.

Bei der Dope de France wird jedes Jahr schneller gefahren und jedes Jahr weniger geschluckt. Man sieht nix, man darf nur vermuten. Früher war das leichter, da wurde Hundeblut gespritzt. Die Fahrer klingelten nicht mehr, sie bellten. Die haben dir ’nen Dackel in die Adern genadelt und du hast danach am Baum schneller das Bein gehoben. Das waren klare Verhältnisse. Du hast gewonnen, und der Dackel bekam seinen Knochen, fertig. Die Stuttgarter Sixdays finden nicht mehr statt aus Angst vor Doping, bei den Radfahrern. In die Besucher wird sechs Tage lang Bier, Schnaps, Prosecco und dazu noch Alkohol gepumpt bis zum Punkt vor dem Koma, aber die Radler müssen sauber bleiben, dürfen sich am Ende als Loser auspfeifen lassen.

Mit dem in die Hand eingewachsenen Pilsglas den Sport genießen, aber ausrasten, wenn der Gladiator fremde Gene für sich radeln lässt.

Da regen wir uns olympisch und weltmeisterlich über neue Siegerländer auf, die bisher noch nicht mal das Fahrtgeld für die Laufschuhe gewonnen haben. Die können sich eben erst jetzt durch den Reggae-Tourismus schnelle Gene samt Schuss ins Gold leisten. Die US-Amerikaner, Russen, Chinesen, Engländer, Franzosen, Spanier, selbst die Deutschen gewannen jahrzehntelang vollgedopt bis ins Gebiss und jetzt losen sie ab und werden gerecht. Weil wir die Sportler schonen wollen. Weil wir den sauberen Sport wollen, den ehrlichen Sport.

Wer will den eigentlich? Die Zuschauer nicht, die wollen Show. Die Länder nicht, die wollen Siege. Die Sportler nicht, die wollen Kohle. Die Trainer nicht, die brauchen Arbeit. Die Medien nicht, die züchten Schicksale.

Kurz: Die Menge dopt. Die Kohle lacht. Freude, die der Vorteil macht. Man will nichts Böses, nur den Gewinn. Und den muss man hegen und pflegen, gießen und spritzen. Überall und über alles. Nicht nur im Sport. Da gibt es börsengedopte Aktienkurse, geporscht, vauwet, gesiemenst. Banken werden aufgepumpt und hochgezüchtet. Selbst der Staat dopt die lahmende Wirtschaft zurück ins kalte Rennen um die heiße Kohle.

Was ist Doping? Die Einnahme oder Ver-Unreichung verbotener leistungssteigernder Substanzen. Der eine wird gespritzt, der andere wird bestochen. Jeder nimmt, was er kann. Der eine ein der andere aus.

Wer siegen will, muss schlucken können. Wer zu viel schluckt, muss länger kotzen. Und wenn dabei rauskommt, wie die Gewinne eingefahren wurden, tanzt alles den Entrüstungs-Boogie.

Dabei wird schwarz gearbeitet in jedem zweiten Haushalt, die Frau belogen, der Mann betrogen, die Kinder mit TV und PC gedopt, die Alten mit Tabletten in der Besenkammer ruhiggestellt. Aber die Spitzensportler sollen sich ungespritzt in der Fahne der Redlichkeit aufs Podest tragen lassen.

Dabei werden noch immer allerorten Labertaschen, Ärmelschoner und keimfreie Dampfkasper in höchste Ämter gedopt. Kaum angekommen, hängen uns diese Weltmeister bei jeder Ansprache ihre so hart erkämpften Medaillen vor die Nase. Sieger wohin das Auge tränt.

Und diese Sieger geben Milliarden aus, damit mehr Überflieger landen können und mehr Bezüge unter die Erde kommen und gleichzeitig ist kein Geld da für zwei Lehrer und fünfzehn Schüler pro Klasse, für Pflegepersonal und Altenbetreuung.

Wer siegen will, muss Loser schaffen. Wer gewinnt, lebt vom Verlierer. Nur: Was wär ein Sieger im Endlauf ohne sieben Verlierer? Er wär Letzter. Und allein.
Stell dir vor es ist Sieg und keiner geht hin. Stell dir vor, uns läge das Wohl des anderen mehr am Herzen als unser eigener Vorteil, unser Handeln wäre geprägt von zwei Fragen: „Dient es allen?“ und: „Bin ich bereit zu geben, ohne was dafür zu wollen?“

Stell dir vor, wir machen Gewinn und keiner will ihn für sich. So seh’n Sieger aus. Ohne Übernahme, ohne sich zu übernehmen, ungespritzt und ohne Stich.

05.09.2009
(Ausgabe September 2009)