MOBIL

Wie Perlen an der Kette

Ein Dauerläufer: Der Paternoster im Stuttgarter Rathaus ist einer der wenigen Personenumlaufaufzüge, die heute noch in Betrieb sind.
Wegen des hohen Gefahrenpotentials wird der Paternoster nicht mehr gebaut.

Man wollte ihm den Garaus machen, doch er überlebte und hält sich hartnäckig – der Paternoster. Die Erfolgsgeschichte des beliebten Aufzugs begann 1867 im General Post Office von London mit der Bestimmung, Briefe und Pakete zu transportieren. Erst 16 Jahre später durften Personen mitfahren und 1885 feierte er im Hamburger Geschäftshaus Doventor Deutschlandpremiere.

Drohende Stilllegung der Paternoster
Dann, Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, ging ein Schrecken durch die Paternoster-Fan-Gemeinde: Eine Änderung der Aufzugsverordnung war geplant und diese sah vor, alle Personenumlaufaufzüge, wie sie richtig genannt werden, bis 2004 stillzulegen. Daraufhin wurde der „Verein zur Rettung der letzten Personenumlaufaufzüge“ in München gegründet und die Änderung wieder aufgehoben.

Schnell ist anders
Seither drehen sie weiter unbeirrt ihre Runden, und das in gemütlichem Tempo. Maximal 0,3 Meter pro Sekunde dürfen Paternoster-Aufzüge fahren. So beträgt die Wartezeit bis man einsteigt, zwar nie länger als zehn Sekunden, die Fahrt in weiter entfernte Ausstiege dauert dafür länger.

Das Vaterunser unter den Aufzügen
Seinen Namen, der wörtlich übersetzt„Vaterunser“ bedeutet, verdankt er tatsächlich dem Rosenkranz. Die elfte Kugel dieser Gebetskette symbolisiert das Vaterunser und ähnlich wie die Perlen an der Kette sind auch die Kabinen des Aufzuges angeordnet.

Sterben Paternoster aus?
„Ein Hauch von Nichts“, nennt Bernd Schimanek, der Sachverständige für Aufzugsanlagen vom TÜV Süd, die noch verbliebene Anzahl der Paternoster-Aufzüge, die in Betrieb sind. Im Stadtgebiet Stuttgart gibt es nur noch 16 Personenumlaufaufzüge, zwei davon sind aber schon abgestellt worden. „So etwas erledigt sich leider von allein“, erklärt Bernd Schimanek, denn seit 1974 dürfen keine Paternosteranlagenmehr gebaut werden, „obwohl sie eigentlich nicht tot zukriegen sind.“

Dabei hat er auch Vorzüge...

So seien sie zwar robuster als normale Aufzüge, aber die Instandhaltung der Stetigförderer, wie sie der Experte nennt, sei viel aufwendiger und teurer. „Man muss ständig schmieren und schauen, dass nichts Geräusche macht, außerdem ist der Stromverbrauch durch den ununterbrochenen Betrieb viel höher“, erklärt Bernd Schimanek, „aber Seile, wie sie in normalen Aufzügen verwendet werden, haben einen höheren Verschleiß als Ketten, mit denen der Paternoster fördert, das ist dann wieder deren Vorteil.“

Trotz Prüfungen: Paternoster sind gefährlich

Alle zwei Jahre werden sie vom TÜV einer Hauptprüfung unterzogen, dazwischen stehen die Zwischenprüfungen an. Der Auslöser für den Stopp für den Bau neuer Anlagen liegt aber nicht in den hohen Kosten für die Instandhaltung. So birgt der Paternoster ein sehr hohes Gefahrenpotenzial.

Der unebene Einstieg macht Probleme
Den Grund hierfür sieht der Sachverständige zum einen in der Unkenntnis und zum anderen in dem unebenen Einstieg: „Je weniger es von ihnen gibt, desto weniger sind auch seine Gefahren bekannt. Außerdem kann man nie eben einsteigen, was sich vor allem für ältere Menschen und Kinder als Problem darstellt.“

Unfälle, die nicht sein müssten

Auch habe er schon sehr abenteuerliche Geschichten von Unfällen gehört, zum Beispiel die, dass manche versuchten, Gegenstände wie Leitern im Aufzug zu transportieren. „Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn man die Leiter nicht schnell genug da raus bringt“, erzählt er lachend.

Paternoster im Stuttgarter Rathaus
Die meisten Paternoster sind deshalb auch nicht mehr öffentlich zugänglich, sondern meist nur für Mitarbeiterin Betrieb. Eine Ausnahme macht da das Rathaus Stuttgart. Zwei vollbetriebsfähige Umlauf-Aufzüge verbinden die vier Stockwerke miteinander und sind für jeden nutzbar.

OB Schuster setzte sich für Paternoster ein

Aber auch das war nicht immerselbstverständlich. Als das Rathaus in den Jahren 2003 und 2004 umgebaut wurde, gab es Pläne, die beiden „alten“ durch neue Aufzüge zu ersetzen. Dass sie dennoch in Betrieb sind, verdanken die Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster, der sie als ein charakteristisches Merkmal des Stuttgarter Rathauses sieht. Er setzte sich vehement für einen Erhalt der Paternoster ein, „denn ohne sie könne man sich das Stuttgarter Rathaus nicht vorstellen.“

Damals sparte er Kosten
Anfang des 20. Jahrhunderts galt der Paternoster als Revolution in der Aufzugtechnik, da er viele Personen in kurzer Zeit transportieren konnte, und erfreute sich vor allem in Büro und Geschäftshäusern sehr großer Beliebtheit. Man sparte sich durch ihn das Gehalt des Aufzugführers, ohne den ein Benutzen des normalen Aufzuges nicht möglich war.

Heinrich Böll setzt Paternoster in Szene
Aber auch Künstler fühlten sich in seinem über 100-jährigen Bestehen immer wieder zum Paternoster hingezogen. Heinrich Bölls Protagonist Dr. Murke in der Kurzgeschichte „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ ist Kulturredakteur beim Rundfunk. Jeden Morgen fährt er mit dem Paternoster zu seinem Büro im Funkhaus, wobei er jedes Mal – des Nervenkitzels wegen – über den Dachboden fährt. Damit räumt Böll auch das Gerücht aus dem Weg, man würde, sollte man oben nicht rechtzeitig aussteigen, über Kopf zurück fahren müssen.

Filmstar Paternoster
Auch Erich Nossack hat den Aufzug in seinem gleichnamigen Werk verarbeitet. Die wohl bekannteste Filmszene, in der ein Paternoster zu sehen ist, hat Doris Dörrie in ihren Film „Männer“ eingebaut. Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht streifen sich im Aufzug zum Takt der Musik die Kleider vom Leib. Und sogar Ex-Schwaben-Tatort-Kommissar Bienzle ist in seinem „schwersten Fall“ vor einem Paternoster zu sehen.

Ein bisschen Bauchkribbeln gefälligst?
Wer selbst mal wieder fahren möchte, um das leichte Rütteln zu spüren und den Geruch des warmen Schmierfetts zu riechen oder nur um einmal in einem Paternoster zustehen, hat die Möglichkeit, dies zu den normalen Öffnungszeiten im Rathaus zu erleben.
(PIR)

(Ausgabe April 2009)