Der Verein „Kind UND Beruf Hohenheim“ gehört zu den Vorreitern der Kinderbetreuung.

Kind und Beruf

Kinderbetreuung seit 20 Jahren

Bettina Dengler erinnert sich noch genau an die Zeit. Sie stand mitten im Berufsleben und ihr Mann studierte an der Universität Hohenheim, als sich ihre Tochter Salma ankündigte. Nach der ersten Vorfreude war klar, dass Bettina Dengler wieder ins Berufsleben zurück wollte, vor allem, weil auch ihre Doktorarbeit noch auf die Fertigstellung wartete. „Am Anfang hatte ich mir das so romantisch vorgestellt. Wenn das Kind schläft, kann ich an meiner Promotion weiter schreiben“, erzählt Bettina Dengler. „Doch unser Kind hat nicht geschlafen. Vor allem nicht tagsüber. Also war an das wissenschaftliche Arbeiten in der Form nicht zu denken.“ Die studierte Agrarwissenschaftlerin bewarb sich an verschiedenen Kindergärten in Stuttgart, um einen Platz für ihre einjährige Tochter zu ergattern. „Erst hieß es, dass es überhaupt nicht gehen würde. Außerdem waren überall lange Wartelisten.“

Nahezu perfekt

Doch plötzlich kam der Lichtblick: Die Zusage aus der Eltern-Kind-Gruppe an der Universität Hohenheim. „Die Einrichtung der Hohenheimer Zwerge hatte mir persönlich zugesagt. Für unsere Familie hätte ich mir zu der Zeit keine andere Gruppe vorstellen können,“ erinnert sich Bettina Dengler. Die Situation war auch nahezu perfekt. Bettina Dengler konnte am Institut der Universität Hohenheim ihre Promotion wieder aufnehmen, ihr Mann weiter seine Vorlesungen besuchen und ihre Tochter war auf dem Campusgelände in der Betreuungsstätte untergebracht. „Durch die örtliche Nähe zu unserem Kind konnten mein Mann und ich uns viel ruhiger auf unsere Arbeit konzentrieren,“ sagt sie. Das war im Januar 2004. Mittlerweile haben Bettina Dengler und ihr Mann zwei Kinder. Auch ihr Sohn Yunis ist erst bei den Hohenheimer Zwergen betreut worden und besucht heute als eines von 15 Kindern die zweite Kindertagesstätte, die „Kleinen Hohenheimer“, auf dem Universitätsgelände.

Kind und Beruf müssen gleichzeitig funktionieren

Mit dem Konzept der Kinderbetreuung für Berufstätige haben sich Verantwortliche der Universität Hohenheim schon viel früher befasst. Bereits 1990 gründeten 50 Mitarbeiter der Hochschule den Verein „Kind UND Beruf in Hohenheim“. Dabei war ihnen vor allem die Schreibweise des Vereinsnamens wichtig. „Kind und Beruf muss gleichzeitig möglich sein. Also am besten unmittelbar auf dem Campus,“ erklärt Hans- Peter Burghof, Wirtschaftsprofessor und Finanzexperte an der Universität Hohenheim. Er ist derzeit der erste Vorsitzende des Vereins. Eine der Mitbegründerinnen des Vereins im Jahre 1990 war die Tierärztin Dr. Helga Brehm. Zwar hatte sie selbst keine eigenen Kinder, war dafür aber umso engagierter, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf jungen Müttern zu ermöglichen. „Wir sind schon stolz auf die Vorreiterrolle, die wir eingenommen haben. Damals hat noch kein Politiker danach geschrien.“ Das Vorhaben wurde jedoch nicht überall gleich willkommen geheißen. Angst vor Kindergeschrei, erhöhte Lärmentwicklung und allgemeine Unruhe waren nur einige der Faktoren, die Kritiker gegen das Projekt auszusetzen hatten. „Vor allem für viele Männer war das Thema zu der Zeit nicht existent“, erzählt Helga Brehm. „Die Frauen hatten das ja bereits geregelt.“ Der Verein blieb bei seinen Zielen und konnte vier Jahre nach seiner Gründung 1994 die erste Kindertagesstätte auf dem Universitätsgelände eröffnen. Mit einer Erzieherin, einer Praktikantin und sieben Kindern halbtags. „Ich bin damals noch Möbel einkaufen gefahren oder habe mit der Erzieherin Töpfe besorgt“, erinnert sich die Tierärztin.

Zwei gut besuchte Gruppen
Das ursprüngliche Konzept, das Angebot nur für Universitätsmitarbeiter bereitzustellen, musste sehr schnell wieder verworfen werden. Das Liegenschaftsamt schrieb damals vor, auch universitätsfremde Kinder aufzunehmen. Seitdem sind mehr als 150 Kinder auf dem Campus der Universität Hohenheim betreut worden. Der Verein „Kind UND Beruf in Hohenheim“ betreibt mittlerweile zwei Eltern- Kind-Gruppen. Die Gruppe der „Kleinen Hohenheimer“ ist für 15 Kinder von ein bis sechs Jahren ausgerichtet, in der Gruppe der „Hohenheimer Zwerge“ werden zehn Kinder bis zu drei Jahren betreut. Dabei wird besonderen Wert darauf gelegt, dass die Eltern in den Alltag der Kindertagesstätte mit einbezogen werden. Neben regelmäßigen Kochdiensten oder Gartenarbeitsstunden können sie unter anderem auch die Erziehung der Kinder mitgestalten. Ein Konzept, das Bettina Dengler besonders gut gefällt. „Es ist eben schön, auch mitsprechen zu können. Welche Art von Spielzeug soll angeschafft werden, welche Förderung stelle ich mir für mein Kind vor?“ Die studierte Agrarwissenschaftlerin weiß ihren Sohn Yunis bei den „Kleinen Hohenheimern“ gut aufgehoben. Das macht es ihr leichter, jeden Tag ihrer Arbeit nachzugehen. Bettina Dengler schätzt sich glücklich in ihrer Lage. Sie weiß jedoch, dass diese Situation nicht selbstverständlich ist. Sie sieht zum Beispiel großen Nachholbedarf in der Gesellschaft: „Die Akzeptanz stellt das große Problem dar. Um als Leistungsträger wahrgenommen zu werden, ist vielen Unternehmen die zeitliche Verfügbarkeit wichtig“, sagt sie.

Ein Blick in die Zukunft

Diese Flexibilität ist mit kleinen Kindern schwer zu leisten. Das weiß auch Prof. Dr. Hans-Peter Burghof: „Wenn man sich überlegt, dass man mit einem Kind drei Jahre Pause macht, ist man in der Wissenschaft weg.“ Eine begabte Frau, die sich zwischen Wissenschaft und ihrem Kind entscheiden müsse, würde verständlicherweise bei der Familie bleiben. „In diese Situation dürfen Frauen selten kommen,“ meint der Wirtschaftsprofessor weiter. An dieser Stelle springt der Verein „Kind UND Beruf in Hohenheim“ bereits seit 20 Jahren ein. Mit Erfolg. Die Wartelisten für die Kindertagesstätten auf dem Campus sind lang, die Bewerber um die Plätze stehen Schlange. Umso mehr hält der Verein an seinem erklärten Ziel fest, Frauen die Chance zu geben, Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen. So würden die Verantwortlichen von „Kind UND Beruf in Hohenheim“ am liebsten eine dritte Einrichtung zur Kinderbetreuung auf dem Gelände ermöglichen. Aber bis diese irgendwann ihre Türen öffnen wird, werden noch viele große und kleine Schritte notwendig sein. (BD)

08.01.2011
(Ausgabe 8. Januar 2011)