Die aktuelle Ausgabe zum Download:

Häberle und Pfleiderer

So, so … ja, ja

Häberle und Pfeiderer machten im Rundfunk Furore. (Bild: SWR)
Wenig reden, aber viel sagen – das war die Spezialität von Häberle und Pfleiderer.

Die überschwängliche Begrüßung, die in dem fast gesungenen „ja, ja … so, so“ endet, ist das Kennzeichen des vermutlich berühmtesten schwäbischen Paares.
Erster Auftritt 1930
Wann Häberle und Pfleiderer das Licht der Bühnenwelt erblickt haben, wurde mit der Zeit vergessen. Uli Keuler hat das genaue Datum für seine kurzweilige Dissertation aus dem Tageszeitungsarchiv gefischt: Am 15. Dezember 1930 wurde der Einakter „Die Friedenskonferenz“ auf der „bunten Bühne Pavillon Excelsior“ gespielt.
Lakonisch und voll philosophischer Tiefe
Die Protagonisten, ein Herr Pfleiderer und ein Herr Häberle, geraten sich ziemlich in die Haare bei dem Versuch, die Genfer Abrüstungskonferenz nachzuspielen – genau wie die Vorbilder ihrer Persiflage. Mit diesem Sketch sind die Grundzüge des schwäbischen Paares schon festgelegt: Herr Häberle mit Strohhut und Kneifer und Herr Pfleiderer im Mantel und mit rundem Hut. Lakonisch und cholerisch, spitzfindig und voller philosophischer Tiefe.
Die Großstädter Häberle und Pfleiderer
Häberle und Pfleiderer sind – ganz anders als man heute annehmen mag – echte Großstadtgewächse. Stuttgart ist in den frühen 1930er Jahren auf dem Weg von der überschaubaren Residenzstadt zu einem industriellen Zentrum.
Häberle: Ja, ja, der Herr Pfleiderer!

Pfleiderer: So, so, der Herr Häberle!

Beide: Ja, ja … so, so.
Stuttgart besitzt eine Vielzahl an Theatern
Zur Großstadt gehört auch die Vergnügungsindustrie: Unterhaltung finden die Stuttgarter im Theater, Tanzlokalen, Varietés und Jazzkneipen. Man will sich amüsieren und lachen – die Lage ist ernst: Die Weltwirtschaftskrise hat auch Stuttgart getroffen, die Zahl der Arbeitslosen schnellt in erschreckende Höhen.
Politik handlich machen
Die Nummer mit der „Friedenskonferenz“ traf genau den Nerv der Zeit. Ihr Witz lag vor allem darin, dass die große Politik durch Häberle und Pfleiderer auf kleines Format zusammengefaltet wird, so an Undurchschaubarkeit verliert und handlich wird.
Häberle: Wenn i mir’s so vergegenwärtig, wies unseroim geht und was für a Glück andere Leut habet – wenn i mi da so neidenk … Glaubet Se mir, Herr Pfleiderer – na wünsch i mir manchmal, i wäre gar net erst gebore.
Pfleiderer: Ja, ja – scho recht, Häberle, gar net erst gebore werden! – aber sehet Sie, des Glück, Häberle – des Glück hat ebe au net a jeds!!
Willy Reicherts Leben scheint in der Pfleiderer-Figur durch
Willy Reichert, der die Posse inszeniert und selbst den Pfleiderer gespielt hat, war zu dieser Zeit bereits eine bekannte Persönlichkeit im Stuttgarter Kulturleben. Er wurde 1896 in Stuttgart geboren. Die Eckdaten seines Lebens scheinen in der Pfleiderer-Figur immer wieder durch: Seine Kindheit im Postdörfle, der ersten Stuttgarter Arbeitersiedlung, seine Militärzeit in Ludwigsburg und seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Später spielte er am Theater und entwickelte Soloprogramme mit Conférencen und humoristischen Liedern.
Oskar Heiler sprang zunächst als Vertretung ein
Die Figur des Häberle machte Oskar Heiler berühmt, der 1906 ebenfalls in Stuttgart geboren wurde. Er lernte zunächst Buchhändler, bevor er ans Staatstheater Stuttgart kam. Seine beginnende Bühnenlaufbahn wurde durch eine Beinamputation beendet und Willy Reichert holte ihn als Inspizient und Textbearbeiter ans Excelsior. Seine Chance bekam er, als der erste Häberle-Darsteller Charly Wimmer einen Motorradunfall hatte, Heiler sprang ein und setzte den Häberle-Strohhut dann nicht mehr ab.
Häberle und Pfleiderer machten Furore
Häberle und Pfleiderer machten schnell Furore und ihre Darsteller Karriere. Sie wechselten zum größten Stuttgarter Varieté, zum Friedrichsbau. Ihr Durchbruch kam mit einem „neuen Medium“ – dem Radio. Der Rundfunk steckte in den 1930er Jahren noch in den Kinderschuhen, die erste Rundfunksendung in Deutschland wurde 1923 ausgestrahlt. Zunächst traten Häberle und Pfleiderer dort an „bunten Abenden“ auf.
Der Siegeszug des Radios
Ab Mitte der 1930er Jahre wurden einige längere Szenenfolgen speziell für den Rundfunk geschrieben und produziert. Und so verlief die Erfolgskurve von Häberle und Pfleiderer genauso steil wie die des Radios: Während 1932 gerade einmal in jedem zweite Haushalt in Stuttgart ein Radio stand, stieg der Anteil 1938 auf über 80 Prozent.
Erfolg auch nach Ende der Weimarer Republik
Der Erfolg endete nicht zusammen mit der Weimarer Republik, in der Nazizeit wurden Häberle und Pfleiderer noch bekannter – was aber nicht bedeutet, dass sie rechtes Gedankengut transportierten. Oskar Heilers Herz schlug nach eigenen Aussagen „sehr vernehmlich links“, auch Willy Reichert gehörte keiner nationalsozialistischen Vereinigung an. Allerdings setzte sich gerade Reichert später nicht mit seiner Rolle in der Zeit auseinander, obwohl er seinen wichtigen Posten beim Friedrichsbau Varieté der Vertreibung von Ludwig Grauaug verdankte.
Keine Gesellschaftskritik
Die Dialoge von Häberle und Pfleiderer klammerten heikle Themen aus und waren nicht gesellschaftskritisch. Im Gegenteil, die Inhalte ihrer Gespräche konzentrieren sich auf die Konstanten des kleinbürgerlichen Alltagslebens. Sie träumen von Hecht in Buttersößle, einem guten Schnaps und der jungen Bedienung im Gasthaus. Sie bruddeln über die Streitigkeiten mit ihren Ehefrauen, über arrogante und umständliche Beamte und jammern über ihre finanzielle Lage.
Skeptiker ohne Illusionen
Schwierige Themen reduzieren sie auf harmlose Alltagskonflikte. Dabei sind Häberle und Pfleiderer echte Skeptiker und ziemlich illusionslos. Sie konfrontieren Belangvolles mit Belanglosem und begegnen Gefühlsüberschwang mit Nüchternheit. Die beiden Herren setzen ihr bestes Hochdeutsch auf, wenn sie pathetisch werden. Und wechseln bei spontanen Regungen bruchlos ins Schwäbische.
Auch in der Bundesrepublik erfolgreich
Lange Zeit wirkten ihre Dialoge zeitlos. Häberle und Pfleiderer schafften den Sprung in die Bundesrepublik ohne Schwierigkeiten. Sie blieben auf der Bühne, im Rundfunk – und jetzt auch im Fernsehen populär.
Ein wenig aus der Mode gekommen
Doch die neuen gesellschaftlichen Töne der 1960er und 1970er Jahre ließen Häberle und Pfleiderer altmodisch erscheinen. Die Erlebnisse ihrer Kleinbürgerwelt mit „Potschamberle“ und einem „Gestauchten“ wirken anachronistisch. Wer braucht noch einen Nachttopf und trinkt gewärmtes Bier, wenn jetzt die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen en Vogue ist?
Den letzten Bühnenauftritt hatten Häberle und Pfleiderer am 8. Dezember 1973. (AS)

31.10.2009
(Ausgabe November 2009)