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Beim dreigliedrigen System der Torwiesenschule lernen behinderte und nichtbehindere Kinder gemeinsam. (Bild: Diakonie Stetten e.V.)
Torwiesenschule plant weiterführende Schulen
Stuttgarter Pilotprojekt
Wenn sich das vierte Grundschuljahr dem Ende neigt, sehen viele Schüler und Eltern den Empfehlungen für die weiterführenden Schulen mit gemischten Gefühlen entgegen. Welcher Schule wird das Kind wohl bald zugewiesen? Ist es auch die richtige Entscheidung für das Kind? In welcher Schule fühlt es sich gut aufgehoben, wird gefordert und natürlich auch ausreichend gefördert? Oder ist es gar überfordert? Überlegungen, die Sabine Foth aus Stuttgart nur zu gut kennt. Zumindest von ihren drei Kindern, die staatliche Grundschulen besuchten.
Die Kinder stehen im Mittelpunkt
„Meine Kinder dachten bereits in der dritten Klasse über ihre schulische Zukunft nach.“ Der scheinbare Erfolgsdruck machte ihren Kindern zu schaffen. Sabine Foth suchte nach einer Alternative zur staatlichen Grundschule. Über Freunde erfuhr sie schließlich von der Torwiesenschule in Stuttgart-Heslach. Ihr viertes Kind fühlt sich dort nun gut aufgehoben. „Friederike macht die Schule Spaß. Die Kinder stehen einfach im Mittelpunkt.“ Aussagen wie diese haben die Verantwortlichen der Torwiesenschule schon oft gehört. „Ein Ranking der Schüler untereinander gibt es nicht. Hier lernen die Kinder für sich, weil sie es interessant fi nden“, erklärt Martina Heß, Leiterin der Torwiesenschule.
Ohne Erfolgsdruck lernen
In der Grundschule in Stuttgart-Heslach gibt es bis zur vierten Klasse keine Noten. „Wir haben die Noten in Mathematik und Deutsch jetzt nur eingeführt, damit die Schüler sich an weiterführenden Schulen bewerben können“, erklärt die Schulleiterin. Zwar werden auch hier Diktate geschrieben, Klassenarbeiten ausgeteilt und korrigiert zurückgegeben. „Manche Lehrer benutzen sogar den Rotstift. Aber es ist eben keine Note darunter.“ Dieser Ansatz der modernen Pädagogik soll das individuelle Lernen fördern. Die Schüler vergleichen sich nicht mit anderen, sondern eher mit sich selbst und mit der vorangegangenen Leistung, so Martina Heß weiter. Nicht nur die Lernmethodik ist anders an dieser Einrichtung der Diakonie Stetten. Die Torwiesenschule ist eine Privatschule und vereint formal eine Grundschule und eine Sonderschule unter einem Dach.
Behinderte Kinder werden integriert
Das Besondere daran: Hier findet ein so genannter Inklusivunterricht statt. Behinderte und nicht behinderte Kinder lernen gemeinsam. Dabei sind den 22 Schülern jeder Klasse sechs Kinder mit Behinderungen zugeteilt. Die Idee dahinter klingt einfach. „Mit diesem Konzept sollen besonders auch die schwächeren Schüler gefördert und in das Lernniveau mit einbezogen werden“, erklärt Martina Heß. Frontalunterricht ist zumindest in den gemeinsamen Stunden nicht möglich. Vielmehr setzt man in der Torwiesenschule auf anschaulichere Unterrichtsmethoden, um die behinderten Kinder besser in den Unterricht integrieren zu können. „Zieldifferenziertes Lernen“ heißt das im Fachjargon. Mal lernen die Kinder selbstständig, sind in Kleingruppen nach Schularten aufgeteilt oder experimentieren gemeinsam. „Wir unterrichten nach dem Bildungsplan des Landes Baden-Württemberg. Keinem Kind entsteht ein Nachteil“, versichert die Stuttgarter Schulleiterin.
Mehr Anmeldungen als Grundschulplätze
Dieses Konzept hat Erfolg. Mittlerweile sind die Plätze in der Grundschule begehrt. Es sind weit mehr Anmeldungen eingegangen, als die Grundschule an neuen Erstklässlern aufnehmen kann. „Dabei haben wir in diesem Jahr noch nicht einmal Werbung für unsere Schule gemacht“, sagt Martina Heß. „Normalerweise haben wir immer Prospekte in Kindergärten ausgelegt.“ In diesem Jahr brachte die Mund-zu-Mund-Propaganda zahlreiche Anmeldungen ein. „Viele Eltern erzählen von unserer neuen Lernmethodik und geben ihre Erfahrungen an andere Eltern weiter.“
Weiterführende Schulen in Planung
Grund genug, um sich über eine Weiterentwicklung der Schule Gedanken zu machen. Eine Übergangsform zwischen der Grundschule und den weiterführenden Einrichtungen sollte geschaffen werden, um ein gemeinsames Lernen in der fünften und sechsten Klasse zu ermöglichen. Erst danach sollte die Aufteilung in die weiterführenden Schulen der Real- und Werkrealschule stattfi nden. Es sollte ein Schulkonzept sein, das auch die behinderten Kinder weiterhin integriert. „Wenn wir die Schule weiterentwickeln, dann für alle Schüler“, erklärt Heiderose Maaß vom Vorstand der Diakonie Stetten. Das schien gar nicht so einfach zu sein. Denn nach Angaben der Verantwortlichen gibt es in Baden-Württemberg noch keine Konzepte dieser Art. Wohl finden bereits an verschiedenen Schulen alternative Lehrmethoden statt, jedoch ohne Einbindung von behinderten Kindern. „Wir haben mit dem ganzen Kollegium eine Exkursion nach Köln gemacht, um uns ein solches Konzept anzuschauen“, erinnert sich Martina Heß.
Überzeugendes Konzept
Das Unterrichtskonzept aus Nordrhein- Westfalen überzeugte die Stuttgarter. Zukünftige Gymnasiasten könnten nach der vierten Klasse wie gehabt die Schule wechseln. Den anderen Schülern werde die Möglichkeit gegeben, zwei zusätzliche Jahre gemeinsam zu lernen. Mit diesem Konzept wollen die Verantwortlichen unter anderem auch ein bisschen mehr Gelassenheit vermitteln. Und die kommt vor allem denjenigen Eltern zugute, die um die schulische Entwicklung ihrer Kinder bangen. Das Ziel ist klar. „Die Kinder sollen bei uns sowohl ihren Werkrealschulabschluss als auch ihren Realschulabschluss machen können“, erklärt Heiderose Maaß. Das erfordert viel Organisation. Neue Lehrkräfte müssten eingestellt werden, Klassenzimmer eingerichtet und kleinere Umbauarbeiten vollzogen werden. „Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Heiderose Maaß.
Gemeinsam lernen und spielen
Das gemeinsame Lernen für weitere zwei Jahre nach der Grundschule – ein Konzept, das in staatlichen Einrichtungen vorerst nicht in Betracht gezogen wird. Das Regierungspräsidium Stuttgart hält am dreigliedrigen Schulsystem fest. „Wir halten das dreigliedrige Schulsystem für ein sehr gutes System“, erklärt Heike Schlüter. Die Idee des gemeinsamen Lernens wird hier in den neuen Einrichtungen der so genannten Bildungshäuser umgesetzt, bei denen die intensive Zusammenarbeit von Kindergärten und Grundschulen im Vordergrund steht. Drei- bis zehnjährigen Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, über den Zeitraum von sieben Jahren gemeinsam zu lernen und zu spielen.
Torwiesenschule ist zuversichtlich
An der Grundschule in Stuttgart-Heslach laufen derweil die Vorbereitungen für die mögliche Realschule und die Werkrealschule auf Hochtouren. „Wir warten noch auf den schriftlichten Bescheid seitens des Regierungspräsidiums Stuttgart. Die Anträge sind bereits gestellt“, sagt Heiderose Maaß. Das neue Projekt soll zum kommenden Schuljahr starten. 25 Kinder und sechs behinderte Kinder könnten dann ihr neues Klassenzimmer beziehen.
(BD)
Weitere Informationen:
12.02.2011
(Ausgabe 12. Februar 2011)