GROSSARTIG

Schillers Klassiker mit Lust lesen

Schätzt Schiller für Wortwitz und Widersprüche: Heike Gfrereis. (Bild: DLA Marbach)

Dr. Heike Gfrereis, Leiterin des Schiller-Nationalmuseums und des Literaturmuseums der Moderne, hat die Ausstellung „Autopsie Schiller“ konzipiert und ist damit so nah an Friedrich Schiller dran, wie kaum eine andere.


GOOD NEWS: Die Werke Friedrich Schillers werden als Klassiker gehandelt. Gehört er wirklich zum Bildungsgut oder stehen seine Werke nur noch dekorativ in der Vitrine?

Heike Gfrereis: Regalhüter und Klassiker, das schließt sich nicht aus und geht in diesem Fall seit über 200 Jahren Hand in Hand: Die einen lesen Schiller, die andere stauben ihn immerhin ab. Das war schon immer so. Was sich geändert hat ist die öffentliche Rolle, die Schiller heute spielt. Er ist nicht mehr wichtig für eine Nation, man verehrt ihn weniger und lässt man sich dafür vielleicht mehr auf das Abenteuer Schiller ein, auf seine Widersprüche, Tiefen und auch Plattheiten, seinen Witz und seine gedanklich-sprachliche Schärfe, sein ungeheures Tempo.

GOOD NEWS: Als junger Mensch wird man meist in der Schule angehalten, Schiller zu lesen. Was glauben Sie, kann Schiller gerade jungen Leuten bieten?

Heike Gfrereis: Ich kann nur sagen, was er mir mit 14, 15 gegeben hat: eine Sprech- und Handlungsweise, in der ich mich als Mädchen behaupten konnte – anmutig und würdevoll, sich selbst treu, edel, aber nicht harmlos, menschlich und heldenhaft, groß, ein weiblicher Winnetou.

GOOD NEWS: Und den Älteren? Friedrich Schiller ist ja gerade einmal 45 Jahre alt geworden – hat er älteren Menschen überhaupt etwas zu sagen?

Heike Gfrereis: Nun, ich bin auch bald 41 und erinnere mich immer gern sentimentalisch an die Jugend zurück ... Aber ganz im Ernst. Schiller schenkt jedem von uns, egal wie alt, die Aufgeregtheiten, Hitzen und Traurigkeiten, die Ich-Krisen der Pubertät und lehrt zugleich die Vorteile des Alters: Besonnenheit, Verständnis und die Einsicht, dass man trotz aller Jahre immer ein Stücken emotionaler Jugend in sich trägt. Wie der Volksmund es sagt: Und ist man alt wie eine Kuh, so lernt man immer noch dazu.

GOOD NEWS: Wenn Sie jemanden treffen, der noch nie etwas von Schiller gehört hat (oder zumindest nichts gelesen hat), aber neugierig ist: Was würden Sie ihm zur Lektüre empfehlen?

Heike Gfrereis: Nichts. Ich würde ihm alle Bücher verbieten und einen Filmtipp geben: „Fünfter Akt, siebte Szene. Fritz Kortner probt mit Christiane Hörbiger und Helmut Lohner Kabale und Liebe“, aufgenommen 1965 von Hans-Jürgen Syberberg. Mal sehen, wann er sich doch heimlich an den Bücherschrank schleicht.

GOOD NEWS: Im Literaturmuseum der Moderne wird am 1. März die Ausstellung „Autopsie Schiller. Eine literarische Untersuchung“ eröffnet. Es sollen der physische und poetische Körper Schillers gezeigt werden. Was ist Ihr Lieblingsstück aus der Ausstellung?

Heike Gfrereis: Mein Lieblingsstück ist der Schiller, der von Kopf bis Fuß in der Luft schwebt, vom Hut und Kopfwehtuch über das Riechfläschchen, den Handspiegel und seine Handwärmer hinunter zu Hosen, Strümpfen und Schuhschnallen: eine abstrakte Imaginationsfigur, die nicht nur deutlich macht, wie man sich früher seinen Schiller-Bild zusammengesetzt hat, sondern auch die Fantasie anfixt und eine ungeheure poetische Energie entfaltet.

GOOD NEWS: Frau Gfrereis, was wünschen Sie sich vom Schillerjahr 2009?

Heike Gfrereis: Dass man auch 2010 noch mit Lust Schiller liest.

GOOD NEWS: Frau Gfrereis, vielen Dank für das Gespräch. (AS)

(Ausgabe März 2009)