Viel mehr als Samba und Fußball
Das Forró de Domingo-Fastival ist eine riesige Tanzparty bei der jeder willkommen ist.

Forró de Domingo-Festival in Stuttgart

Viel mehr als Samba und Fußball

Stuttgart ist Vorreiter – wirtschaftlich, im Autobau und sonst eigentlich auch immer wieder. Zugegeben, ganz ernst gemeint sind da nicht alle Aufzählungen. In zwei Disziplinen sind wir es aber eben doch – sogar international. Zum einen, wenn es um die Präsenz des brasilianischen Paartanzes „Forró” geht. Hier stellt die Landeshauptstadt die größte Tanzgemeinde Deutschlands. Zum anderen mit dem „Forró de Domingo-Festival” – Europas größtem Tanzfestival des Genres. Das lädt nächste Woche vom 30. Mai bis 2. Juni 2013 zum leidenschaftlichen Tanzen im Treffpunkt Rotebühlplatz.

Terra Pasqualini brachte den Forró nach Stuttgart

Verantwortlich für den Erfolg des Forró ist Terra Pasqualini. Der 30-jährige gebürtige Brasilianer kam vor zehn Jahren nach Deutschland und etablierte im Laufe der Jahre den Tanz und die Musik in der Landeshauptstadt. „Das hat sich so ergeben”, erzählt er bescheiden. Er weiß um seine Bekanntheit in der Szene, freut sich aber eher im Stillen darüber. Mittlerweile engagiert sich der Diplom-Ökonom ehrenamtlich im Verein brasilianischer Kulturen Stuttgart. „Ich bin mit der Musik aufgewachsen. Wenn andere früher zu Technopartys gingen, war ich auf Forró-Festen unterwegs”, lacht Pasqualini.

Tanzen als Lebensgefühl

Doch was ist das eigentlich, Forró? „Es ist ein Tanz- und ein Musikstil aus dem Nordosten Brasiliens“, erklärt Pasqualini. „Und es ist, selbst wenn es abgedroschen klingt, auch ein Lebensgefühl.“ Der Tanz sei aber nicht schwierig und die Grundschritte von jedem schnell erlernbar. „Bereits mit diesem Basiswissen bereitet der Forró viel Spaß“, fügt er hinzu.

Die Musik besingt den gesellschaftlichen Wandel

Die Musik dazu stammt aus den ärmeren Regionen Brasiliens. Die Lieder handeln von Dürreperioden und dem Wandel der Region. Viele junge Menschen zieht es in die Metropolen, doch sie merken, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. „Nicht umsonst steckt das Wort ‚Leid‘ in Leidenschaft“, meint Pasqualini. Es ist eine fröhliche Musik mit viel Melancholie. Ausgesprochen wird das Ganze dann auch „Foho“, also mit „h“, nicht mit „r“. Man spricht schließlich Portugiesisch. Die am häufigsten verwendete Instrumentenkonstellation besteht aus einem Akkordeon, Sanfona genannt, einer Basstrommel, die Zabumba heißt und einer Triangel. Auch das ist in Stuttgart schon längst angekommen.

Jeden Sonntag trifft sich die Forró-Szene im 7grad

Jede Woche trifft sich die Stuttgarter Forró-Szene zum Forró de Domingo. Am Sonntag, „Domingo“, ist der Tag des Herrn und die Tanzwütigen schwingen im 7grad am Rotebühlplatz ab 18 Uhr das Tanzbein. „Die Musik ist zwar nicht live, sondern kommt vom DJ. Das trübt die Stimmung aber keineswegs“, lacht Pasqualini. Zuerst übt er mit den Teilnehmern eine Stunde lang Tanzschritte ein, dann wird getanzt. Auch wer keinen Tanzpartner hat, bleibt hier nicht allein. Die Tanzpaare finden sich in der Hitze der Nacht. Und das ist auch ausdrücklich gewünscht. „Es ist ein Paartanz, das heißt, man tanzt zu zweit. Es geht um Leichtigkeit und Leidenschaft“, sagt der Pasqualini.

Terra und sein Bruder Jidu Pasqualini unterrichten die Stuttgarter

Er und sein Bruder Jidu, ebenfalls eins begnadeter Forró-Tänzer, wechseln sich mit dem Unterrichten ab. Gemeinsam bringen sie jede Woche zwischen 120 und 150 Stuttgartern brasilianischen Tanz näher. An manchem Sonntag war der Club dem Ansturm nicht gewachsen, so entstand die Idee zum viertägigen Festival.

Das 5. Forró de Domingo-Festival

Am kommenden Donnerstag startet nun das fünfte Forró de Domingo-Festival. Vier Tage lang wirbelt die Stuttgarter Forró-Szene dann über das Parkett des Treffpunkt Rotebühlplatz. „Über 15 Lehrer aus aller Welt sind dabei. Sie kommen aus London, Amsterdam, Lissabon, Zürich, São Paolo oder Itaúnas. Livebands sorgen für gute Musik und mit acht Proberäumen haben wir genug Platz zum Üben und Feiern“, freut sich der Brasilianer.

Riesen Ansturm auch in den vergangenen Jahren

In den vergangenen Jahren war der Ansturm groß, lag bei rund 350 Teilnehmern. „Wir veranstalten das größte, am besten besuchte und international renommierteste Forró-Festival in Europa“, so Pasqualini nicht ganz ohne Stolz. In Portugal, Großbritannien, Russland und sogar im Geburtsland der Tanzkunst, Brasilien, ist das Stuttgarter Festival bekannt und beliebt. „Jedes Jahr höre ich es wieder: ‚Ich hätte nie gedacht, gerade in Stuttgart Forró tanzen zu können‘“, lacht Pasqualini.

Tägliche Kurse für Anfänger und Profis

Während das Programm auf herkömmlichen Festivals am Tag stattfindet, gehen die Partys beim Forró de Domingo-Festival erst am Abend los. „Von 12 Uhr bis 18 oder 19 Uhr laufen die Kurse und Workshops“, erklärt Pasqualini. Ob blutiger Anfänger oder heißblütiger Profi – das ist hier egal. Denn: Jeder kann noch was dazulernen, ganz gleich, wie flink er schon über die Tanzfläche wirbelt.

Im Anschluss wird gefeiert

Nach dem Unterricht wird gefeiert. Am Donnerstag laden die Veranstalter zur großen Grillparty im Kulturhaus ARENA in Stuttgart-Wangen, am Freitag in die Sängerhalle Untertürkheim. Am Samstag geht es in den Wagenhallen weiter, der Sonntag findet wie sonst auch im 7grad statt. „Auch auf diesen Festen ist jeder willkommen“, meint der Lehrer, „natürlich auch diejenigen, die keinen Workshop besucht haben.“

Tanzen verbindet die Kulturen

Zum Forró de Domingo kommt die Szene in Stuttgart zusammen. „Natürlich soll Jeder Spaß haben, aber es geht auch um den interkulturellen Austausch.“ Der Tanz erzählt viel über die brasilianische Kultur und über die Menschen. Und er verbindet Kulturen, bringt die Menschen zusammen. „Etwa 60 Prozent der Besucher kommen aus Deutschland und Brasilien, 40 Prozent aus dem restlichen Europa.“

Mehr Unterstützung für noch mehr Möglichkeiten

Trotz der erreichten Größe organisiert Pasqualini das gesamte Festival selbst. Bandbooking, Einladungen, Lehrerfindung, die Festivallocations – „Stuttgart bietet viele Möglichkeiten“, sagt er. Doch nicht alles ist perfekt. Das Geld ist immer knapp, das kennen die meisten Kultureinrichtungen. „Stuttgart ist zwar für seine Wirtschaft bekannt, leider aber in diesem Maße noch nicht für seine Kultur“, meint er. Zwar erhält das Festival vom Kulturamt eine kleine Unterstützung, aber da ginge noch mehr. „Mehr Zuschüsse – gerade für unser Festival – wären sehr schön.“ Und natürlich angebracht. Schließlich ist es das Größte in Europa. (DS)


8 Fakten zum Forró de Domingo-Festival:


1. Forró ist ein Musik- und (Paar)Tanzstil und stammt aus dem Nordosten Brasiliens.
2. Die am häufigsten eingesetzten Instrumente sind Zabumba (Basstrommel), Sanfona (Akkordeon) und die Triangel.
3. Die Forró de Domingo-Tanzveranstaltung jeden Sonntag im 7grad ist die größte Deutschlands.
4. Das Stuttgarter Forró de Domingo-Festival ist das größte in Europa.
5. Zum Festival kommen Lehrer aus der ganzen Welt, um vier Tage in Stuttgart zu unterrichten.
6. Sogar in Brasilien, dem Geburtsland des Forró, ist Stuttgart wegen seines Festivals bekannt.
7. Im Forró werden häufig gesellschaftliche Missstände besungen.
8. Der Tanzstil ist in der Regel sehr sinnlich und leidenschaftlich.

Weitere Informationen: www.forrodedomingo.de

Viel mehr als Samba und Fußball
Das Forró de Domingo-Fastival ist eine riesige Tanzparty bei der jeder willkommen ist.
25.05.2013
(Ausgabe 25. Mai 2013)