Kino in Stuttgart

100 Jahre Stuttgarter Traumfabrik

Alter Fassadenentwurf des Delphi als U.T. von 1912 aus der ersten deutschen Filmillustrierten.

Wer in Stuttgart ins Kino möchte, hat die Qual der Wahl. Insgesamt stehen acht verschiedene Spielstätten zu Verfügung, in denen allerdings mehr oder weniger dasselbe Programm gespielt wird. Eine Ausnahme bilden dabei das Delphi und das dazugehörige Atelier am Bollwerk.

Unterhaltsames Kino auf hohem Niveau

Im so genannten Arthouse-Kino werden abseits des Mainstreams intelligente, interessante und besondere Filme mit Niveau gezeigt. „Bei uns sieht man Geschichten aus der ganzen Welt, nicht nur Herz-Schmerz-Stories aus Amerika“, so Kinobetreiber Peter Erasmus. Etwa 80 Prozent der Filme im Delphi laufen in keinem anderen Kino Stuttgarts. „Unterhaltsames Kino auf hohem Niveau ist mir eine Herzensangelegenheit“, erklärt Erasmus.

Bunt gemischtes Publikum

„Die Besucher sollen sich unterhalten fühlen, aber auch etwas mit nach Hause nehmen.“ Dieses Konzept kommt in Stuttgart seit vielen Jahren gut an, vor allem beim älteren Publikum. „Unsere Gäste sind zwischen 40 und 90 Jahre alt, wobei der Altersdurchschnitt im Delphi etwas niedriger liegt. Mein ältester Stammgast ist 93 Jahre alt und kommt jede Woche zwei, drei Mal ins Kino. Er kommt auch zur Jubiläumsgala.“

Jubiläumsprogramm vom 16. bis 18. März 2012

Neben der Kinogala, die am Abend des 15. März 2012 ausschließlich für geladene Gäste stattfinden wird, gibt es zum 100. Geburtstag am darauf folgenden Wochenende vom 16. bis zum 18. März 2012 ein umfangreiches Jubiläumsprogramm. „Wir stecken zwar noch mitten in den Vorbereitungen“, so Erasmus, „aber auf das Publikum wartet ein Querschnitt der Kinogeschichte der letzten 60 Jahre.“

Erste Impressionen aus dem Alltag

Die Geschichte der Stuttgarter Kinos beginnt 1896 im heutigen Haus der Wirtschaft. Auf der Ausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe stellten die Brüder Lumiere ihren Cinematographen vor. Eigens für die Stuttgarter zeigten Sie Impressionen aus dem hiesigen Alltag. Die bewegten Bilder begeisterten das Publikum so sehr, dass die Vorführungen in einem Zirkuszelt am Marienplatz fortgesetzt wurden. Der Stuttgarter „Kinogang“ war geboren. „Die ersten Filme waren Kurzfilme, die am Anfang mehr einer Jahrmarktattraktion ähnelten und zum Beispiel eine Eisenbahn zeigten, die in den Bahnhof einfuhr“ so Kinobetreiber Erasmus. „Das war spektakulär, das kannten die Leute nicht. Die Besucher waren so aus dem Häuschen, dass sie schreiend den Veranstaltungsort verließen.“

3D ist keine Konkurrenz

Im 3D-Format sieht Erasmus keine Konkurrenz. Er glaubt an die Zukunft der Programmkinos: „Ich habe viele Trends kommen und gehen sehen. Die 3D-Brille ist nichts Neues. Bereits in den 50ern und 70ern kam so etwas auf den Markt und verschwand bald wieder in der Versenkung.“ Nicht die räumliche, sondern die erzählerische Tiefe ist für Erasmus die Stärke des Kinos. „Ich denke es gibt drei Gründe ins Kino zu gehen: Man kann im Kino in individuelle Geschichten aus der ganzen Welt eintauchen. Zweitens kann man einen ganzen Abend gestalten, der meist mit Restaurantbesuch oder ähnlichem kombiniert wird. Und Drittens leben wir in einer Zeit der Singlehaushalte, für die das Kino eine unkomplizierte Form des Ausgehens darstellt. Und die Wahl des Kinofilms ist eine gute Möglichkeit, den Geschmack des anderen kennen zu lernen - und wenn ihre Verabredung in den neuesten Blockbuster möchte, weiß man gleich, woran man ist.“

Stuttgarter lieben Kino

Der 100ste wird sicher nicht der letzte Geburtstag des Delphi bleiben. Das Kinointeresse der Stuttgarter ist ungebrochen. Die Stadt liegt mit 1,1 Millionen Kinobesuchern im ersten Halbjahr 2011 auf Platz fünf im bundesdeutschen Ranking. (VAN)

Zur Person:

Peter Erasmus macht seit 34 Jahren Arthauskino in Stuttgart. Der gebürtige Aachener sammelte mit dem Programmkino Lupe erste Erfahrungen. Ab 1990 hielt er im Kino 1 und 2 im ehemaligen Kronprinzbau die Fäden in der Hand, bis er 1996 das Atelier am Bollwerk übernahm. 2001 kam für den leidenschaftlichen Cineasten die Leitung des Delphi hinzu.

Zum Weiterlesen: Herbert Spaich. „Von Atlantis bis Urania: Filmtheater in Baden- Württemberg. Eine Kinoreise“, Gerlingen 2003.

Nähere Informationen unter www.arthaus-stuttgart.de

10.03.2012
(Ausgabe 10. März 2012)