Rudolf Steiner, der Vater der Anthroposophie, auf einem Porträt von 1905. (Bild: Kunstmuseum Stuttgart)

Waldorfschul-Gründervater im Kunstmuseum

Der Kosmos des Rudolf Steiner

Alles begann mit Zigaretten. Im Jahr 1919 hatte Unternehmer und Direktor der Stuttgarter Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik Emil Molt ein Ziel: den Kindern seiner Mitarbeiter eine Chance auf angemessene Bildung und Betreuung geben. So beauftragte der wohlhabende Industrielle einen der umstrittensten Reformer seiner Zeit – mit dem österreichischen Esoteriker und Philosophen Rudolf Steiner war die erste Waldorfschule der Welt gegründet.

Künstlerische Wechselwirkung

Noch heute sind die Waldorfschulen das offensichtlichste Vermächtnis Steiners. Derzeit besiedeln fast 1.000 anthroposophische Bildungsstätten die Welt. Sie finden sich in Stuttgart und New York, Budapest und London. Doch Steiners Schaffen beinhaltet mehr: Mit der Anthroposophie (zusammengesetzt aus den griechischen Begriffen „anthropos“, Mensch, und „sophia“, Weisheit) begründete Steiner eine Welt- und Menschenanschauung, die sich neben der Pädagogik auch mit Religion, Medizin und Landwirtschaft beschäftigt. Ganz besonders prägte allerdings die Kunst Steiners spirituelle Geisteswissenschaft. Deren Lehre wirkte sich wiederum auf die Kunstwelt aus. Aus diesem Grund widmet das Kunstmuseum Stuttgart dem Anthroposophen ab Februar 2011 eine umfangreiche Ausstellung, deren Titel zum universellen Selbstverständnis der Lehre passt: „Kosmos Rudolf Steiner“.

„Seelenlose Naturwissenschaften“

Wer ist der Mann, nach dessen oft kritisierten Lehren heute Kinder auf der ganzen Welt erzogen und unterrichtet werden? Geboren wurde Rudolf Steiner 1861 in einem kleinen Ort im damaligen Österreich-Ungarn, heute Kroatien. Er wuchs in einfachen Verhältnissen als Sohn eines Bahnbeamten auf. Um dem jungen Rudolf eine akademische Ausbildung zu ermöglichen, zog die Familie nach Wien. Dank eines Stipendiums konnte Steiner ein Studium der Mathematik und Naturwissenschaften aufnehmen. Doch schon bald ödete ihn die „Seelenlosigkeit“ seiner Hauptfächer an. Lieber hörte er Vorlesungen über Philosophie, Literatur oder Geschichte. Später arbeitete er als Privatlehrer und veröffentlichte erste Schriften, in denen er seine Sicht auf die Welt formulierte. Er beschäftigte sich mit den Weltreligionen, den Schriften Goethes und Nietzsches. So baute Steiner nach und nach ein Gedankengebäude auf, in dem der Mensch und dessen Weg zur höheren Erkenntnis im Fokus stehen.

In Stuttgart fing es an

Bereits 2010 stand Steiner im Mittelpunkt von Ausstellungen wie „Alchemie des Alltags“ in Weil am Rhein oder „Rudolf Steiner und die Gegenwartskunst“ in Wolfsburg. Doch keine andere Stadt wäre für eine umfassende Betrachtung der Person Rudolf Steiner besser geeignet als Stuttgart. Immerhin war es die Schwabenmetropole, in der er 1903 den ersten Vortrag über die von ihm entwickelte Weltanschauung hielt. Bis zu seinem Tod sollten über 6.000 weitere Vorträge folgen. Sein umfangreiches Wirken spiegelt die Ausstellung im Kunstmuseum wider: „Kosmos Rudolf Steiner“ besteht aus drei Teilen, die auf 2.000 Quadratmetern zu sehen sind. Hier vermischen sich kulturhistorische Themen mit aktuell künstlerischen Inhalten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Aspekt „Rudolf Steiner und Stuttgart“.

Einfluss auf Kandinsky und Morgenstern

Die Lehren Steiners haben ganze Generationen von Künstlern beeinfl usst. Das macht die Stuttgarter Ausstellung deutlich. Sie prägten die Werke von Joseph Beuys, Wassily Kandinsky oder Franz Marc, vom Schriftsteller Christian Morgenstern oder vom Stararchitekten Frank Gehry. Auch Steiner selbst betätigte sich künstlerisch. Er entwarf außergewöhnliche Möbel und schuf einen organischen Architekturstil. Die Wertschätzung für die Kunst brachte Steiner mit diesen Worten auf den Punkt: „Man muss ebenso denken können in Farben, in Formen, wie man denken kann in Begriffen, in Gedanken.“

Anthroposophie gleich Esoterik?

So groß die Wirkung des österreichischen Philosophen Steiner auch ist, es gibt immer wieder kritische Stimmen. Gegner seiner Anschauungen sehen die Anthroposophie in derselben Ecke wie die Esoterik und sprechen ihr jede Wissenschaftlichkeit ab. Denn Steiner tendierte zu Okkultismus und übernatürlichen Vorstellungen. Auch Atlantis und die sogenannten „Akasha-Chroniken“, eine Art übersinnliches kollektives Gedächtnis des ganzen Universums, fanden in seinen Lehren ihren Platz. Die zeitgenös- sischen jungen Künstler, deren Werke in „Kosmos Rudolf Steiner“ zu sehen sind, grenzen sich von den üblichen anthroposophischen Lehren ab und betrachten sich selbst nicht als Steiner-Jünger. Laut Veranstalter sind die Werke der jungen Künstler eine eigene Interpretation. Sie seien vielmehr die Reaktion auf eine globalisierte, hoch technisierte und spezialisierte Welt zu verstehen. (KFF)
Die Ausstellung „Kosmos Rudolf Steiner“ begann am 5. Februar 2011 und ist bis zum 22. Mai 2011 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen. Der Eintritt kostet zwischen 6,50 und 8 Euro. Über die Ausstellung finden zahlreiche Vorträge und Veranstaltungen statt.
Weitere Informationen:

12.02.2011
(Ausgabe 22. Februar 2011)