"Dantons Tod" im Staatstheater Stuttgart

Es lebe die Revolution

Die Revolutionen der Gegenwart passieren in den Medien. Das zumindest suggerieren uns Berichte über die jüngsten Demokratiebewegungen in Nordafrika. Auf den einschlägigen sozialen Plattformen und Internet-Portalen wird die nationale Bewegung organisiert und publiziert. Bisweilen sind diese Kanäle die einzige Informationsquelle – Augenzeugenberichte dringen so an die weltweite Öffentlichkeit. Im Staatstheater Stuttgart wird man derzeit Augenzeuge eines solchen Revolutionsdramas – es findet statt auf der Bühne der Arena in der Türlenstraße.

Revolution im "Oval Office"

Der Ort gleicht einer Art „Oval Office“, hinter der pavillonartigen Bühnenarchitektur sieht man dann und wann den erleuchteten Ehrenhof des Neuen Schlosses in Stuttgart. Auch hier aber dringt die Revolution in erster Linie medial nach außen. Noch bevor auf der Bühne ein Wort fällt, flimmert das Schauspiel im Zeitraffer auf mehreren Portalfenstern vor den Augen: die sozialen Netzwerke Facebook, YouTube und Twitter. Die ARD berichtet im Laufe der Inszenierung immer wieder live und vor Ort von den Ereignissen. Sehr heutig. Ganz aktuell. Aber im Wort- und Sinnbild eines klassischen Stoffes.

Geht alle Macht vom Volk aus?

Das Stück, das hier gegeben wird, ist nicht irgendein Stück, es ist Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Und die Revolution, die Büchner darin dramatisiert, ist nicht irgendeine – es ist die französische. Geschrieben und fertig gestellt im Jahr 1835 – Büchner war gerade mal 21 Jahre alt – hat diese französische Revolution, wie wir sie aus den Geschichtsbüchern und vom Nationalfeiertag der „Grande Nation“ kennen, ihre besten Tage schon hinter sich. Die berauschende Erfahrung, gegen die Macht des Adels und der Feudalherrschaft kollektiv revoltiert zu haben, ist einer gemeinsamen, aber längst nicht mehr kollektiven Ernüchterung gewichen. Denn auch nach der Revolution geht es um die alten Fragen der Macht: Wer darf mit welchem Recht und welchen Mitteln über wen regieren? Sollte nicht alle Macht vom Volke ausgehen? Und wenn nicht, wer sollte das Volk mit seinen nach wie vor unterschiedlichen Interessen zusammen halten?

Politik vor dem Neuen Schloss

Diese Fragen hat Georg Büchner seinen Protagonisten gewissermaßen stellvertretend ins Hirn tätowiert. Sie heißen Danton und Robespierre. Zwei Köpfe der Revolution, aus deren Mündern jedoch ganz unterschiedliche Geister sprechen. Robespierre (Sebastian Kowski) lobt die Tugend und will doch die Revolution – notfalls mit der Guillotine – zu Ende bringen, während Danton (Christian Schmidt) es sich in Vergnügung und Laster und seinem eigenen Heldentum bereits ganz gut eingerichtet hat. Dantons Revolution lässt auch dem Intimbereich genügend Raum. Robespierre bleibt Revolutionär vom Anfang bis zum bitteren Ende. Die beiden Gegenspieler tragen wortreiche Gefechte aus, dann und wann lassen sie ihre treue Gefolgschaft aufeinander los. Im geschützten Raum des „Oval Office“ werfen sie einander Vorwürfe und Flugblätter an den Kopf. Der runde Tisch ist schon bald zerlegt. Seine Einzelteile werden zu Barrikaden, auf denen die Frontfrauen der jeweiligen Fraktion die Trikolore schwenken. Draußen vor dem Neuen Schloss dreschen sie politische Phrasen, welche die jeweils andere Partei beim Volk diskreditieren sollen. Sehr klassisch. Ganz aktuell. Aber im Wort- und Sinnbild eines sehr heutigen Politschauspiels.

Büchners Lehrstück in der Gegenwart

Keine Frage, Georg Büchners „Dantons Tod“ ist ein Lehrstück, das man nicht so einfach liest und spielt, um es überzeugend auf die Bühne und in die Gegenwart zu bringen. Nuran David Calis’ Regie bewegt sich erstaunlich nah an Büchners Stoff und Text – und doch weit darüber hinaus. Nein, er hat sich nicht dazu verleiten lassen, das Stück mit Blick auf das brisanteste Stuttgarter Politikum auszudeuten und die sehr guten Schauspieler des Staatstheaterensembles in die Rolle von Mut- oder Wutbürgern zu pressen. Stattdessen erweitert er den Bühnenhorizont in einen medialen Raum und zeigt, wo Politik heute auch „gemacht“ wird – wie etwa in der Selbstbespiegelung oder -täuschung. „Mein Gewissen ist rein“, sagt Robespierre, worauf Danton mit dem Satz antwortet: „Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält.“ Als solche politische Affen stehen Danton und Robespierre vor den laufenden Kameras, ihre Gefolgsleute – allen voran der „heilige Gerechte“ Saint Just – pflegen volksverträglichen Polittalk im ARD-Studio bei Anne Will. Dass am Ende nur eines der beiden Alphatiere übrig bleiben kann, liegt in der Natur der Sache respektive der Figuren. Robespierre unterzeichnet die Verhaftung Dantons und erwirkt letztlich in einem Tribunal die Hinrichtung der Dantonisten.
Menschliches Ende
Nach zwei intensiven und buchstäblich medienwirksamen Stunden ohne Pause findet Regisseur Calis dann doch ein durch und durch menschliches Ende: Während bei Büchner Danton und sein Gefolge zum Tode verurteilt werden, lässt Calis den Danton allein zurück. Seine Gefolgsleute laufen zum siegreichen Robespierre über. (RC)
Weitere Informationen: nur bis 24. April 2011
www.staatstheater-stuttgart.de

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Wo wird revolutioniert?
19.03.2011
(Ausgabe 19. März 2011)