Sternekoch Vincent Klink im Interview

Einfach himmlisch!

(Bild: Vincent Klink)

Es ist Freitag, 10 Uhr. In der Küche des Restaurants „Wielandshöhe“ herrscht bereits seit eineinhalb Stunden Hochbetrieb. Vincent Klink nimmt sich trotzdem Zeit für ein Interview.
GOOD NEWS: Herr Klink, Sie sind in Gießen geboren? Das gibt’s ja gar nicht.
Vincent Klink: Doch, das gibt’s. Mein Vater studierte in Gießen Tiermedizin und meine Mutter hat es nicht mehr nach Hause geschafft. Deshalb steht in meinem Pass der Geburtsort Gießen.
GOOD NEWS: Trotzdem lassen sich Ihre urschwäbischen Wurzeln nicht verleugnen.
Vincent Klink: Ganz klar. Ich bin in Schwäbisch Gmünd aufgewachsen, dort habe ich meine eigentliche Prägung erfahren. Die Gmünder sind ja sehr lebensfreudig.
GOOD NEWS: Sind es auch familiäre Wurzeln, die Ihre Berufung zum Koch geprägt haben?
Vincent Klink: Von Kindesbeinen an war das Kochen bei uns ein großes Thema. Mein Großvater war eher ein disziplinierter Genießer. Er hatte eine Haushälterin, und diese Agathe war immer mein großer Star. Mein Vater war ein richtiger Genussmensch. Schon in den 1960er-Jahren fuhr er mit seinen Stammtischkollegen zu Paul Bocuse und anderen Spitzenköchen dieser Zeit.
GOOD NEWS: Sie sind bekannt dafür, dass Sie sehr heimatverbunden experimentieren. Worauf kommt es dabei an?
Vincent Klink: Das Wort „Heimat“ wird oft mit Heimattümelei verwechselt. Sagen wir eher: regionale Verbundenheit. Dabei kommt es darauf an, dass man das Fremde kennt, um das Eigene wertschätzen und verfeinern zu können.
GOOD NEWS: Das Kochen fängt bekanntlich schon beim Einkaufen an. Gilt auch hier, dass die Zutaten aus der Region kommen müssen?
Vincent Klink: Die Freude am Kochen erhält man sich umso mehr, wenn man die Produzenten kennt. Man weiß die Produkte besser einzuschätzen und auch zu schätzen. Deshalb haben wir etwa 60 Zulieferer aus der Region. Das hat umgekehrt zur Folge, dass wir eine sehr spontane Küche entwickelt haben, bei der manche Gerichte nur einen Tag auf der Speisekarte stehen – wenn zum Beispiel unser Jäger nur drei Hasen bringt. Wollte ich ein halbes Jahr lang Hasenrücken anbieten, müsste ich tiefgefrorene Hasen aus Südamerika importieren. Dagegen sträube ich mich.
GOOD NEWS: Was sind Stuttgarter Gaishirtle?
Vincent Klink: Das sind sehr kleine Birnen, etwa so groß wie eine Walnuss, die ich nur aus Stuttgart kenne. Es gibt sie nur gut drei Wochen im Jahr und sie sind einfach köstlich. Diese seltene Birnensorte ist aus der schwäbischen Kultur der Streuobstwiesen entstanden.
GOOD NEWS: Es fällt auf, dass Sie sowohl kochend als auch schreibend sehr genau wissen wollen, wo Zutaten, Gerichte und kulinarische Traditionen und herkommen. Zum Beispiel, wenn Sie über das landläufige Schlacht-Fest schreiben. Ihre Hommage an die „Wurst“ ist schon jetzt ein Klassiker von höchst kulinarischem und belletristischem Genuss. Wie wichtig ist das Schreiben für Sie?
Vincent Klink: Wissen Sie, die Gastronomie selbst ist ein sehr hektischer Betrieb. Das Schreiben dagegen zwingt zum Nachdenken. Das ist die größte Frucht, die ich aus dem Schreiben ziehe.
GOOD NEWS: Sie haben viele Trends überlebt – auch die aktuelle „Molekularküche“, bei der man in erster Linie Pipetten serviert bekommt. Wie wichtig ist es, dass Ihre Gäste in der „Wielandshöhe“ satt werden?
Vincent Klink: Essen ohne satt zu werden, kann eine Art Kunstgenuss sein. Aber man kommt damit sehr schnell an den Rand der Dekadenz. Das ist nicht mein Ding. Ich kam irgendwann zu der Erkenntnis, dass ich das am besten kochen kann, was aus der Erde kommt, auf der ich stehe. Das ist eine simple Einsicht, aber sie eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. Und es ist eine Einsicht, die satt macht.
GOOD NEWS: Neben dem Kochen machen Sie auch noch Musik. Sie zeichnen und Malen. Mein Gott, woher nehmen Sie die Zeit?
Vincent Klink: Mir fällt es schwer, einfach nur faul auf dem Sofa zu liegen. Ich habe zwei freie Tage in der Woche, Sonntag und Montag. Da suche ich die Ablenkung bei Musik, Literatur oder bei der Gartenarbeit. An der Hasenbergsteige habe ich drei Bienenvölker und einen Kräutergarten, also einen kleinen Lustgarten, der mir die Nähe zur Natur gibt, die ich als Mensch und Koch brauche.
GOOD NEWS: Ist Kochen eine Leidenschaft, die manchmal auch Leiden schafft?
Vincent Klink: Ja, logisch. Wer seinen Beruf nicht ab und zu hasst, der liebt ihn auch nicht wirklich. Gleichgültigkeit wäre wahrscheinlich das Schlimmste, was einem Koch passieren kann.
GOOD NEWS: Apropos „Leiden“: Könnten Sie so aus dem Stegreif ein Rezept beschreiben, das Ihrer Vorstellung vom „jüngsten Gericht“ am nächsten käme?
Vincent Klink: Ich bin nicht so ganz bibelfest, aber wenn ich es richtig sehe, ist das jüngste Gericht eine ganz entscheidende Zäsur: Himmel oder Hölle. Dazu sollte man etwas ganz Echtes zubereiten. Zum Beispiel: ein Butterbrot. Jetzt denken wahrscheinlich alle, das sei doch zu einfach. Ist es aber nicht. Ein gutes Bauernbrot ist selten geworden. Und dazu eine Butter aus unpasteurisierter Milch. Einfach himmlisch!
GOOD NEWS: Was ist Ihre gute Nachricht des Monats?
Vincent Klink: Wir haben ja Winter. Und da denkt man nicht zu allererst ans Gemüse. Wir schon, denn das Wintergemüse spielt auf unserer Speisekarte eine ganz große Rolle. Meine gute Nachricht ist, dass wir auf den Wochenmärkten in Stuttgart und den Teilgemeinden eine ungeheure regionale und saisonale Geschmacksvielfalt haben. Das Wintergemüse ist dort von höchster Qualität und zeigt auf großartige Weise die ganze Fülle dessen, was wir hier haben.
GOOD NEWS: Herr Klink, wir danken Ihnen für das Gespräch. (RC)

05.03.2008
(Ausgabe Januar 2008)