INTERVIEW
Freiheit und Förderung
Walter Sittler und Sigrid Klausmann arbeiteten gemeinsam am Film "Lisette und ihre Kinder". (Bilder: Frederik Laux)
Walter Sittler ist Schauspieler und engagiert sich für Erziehungs- und Bildungsfragen. Nun kommt der von ihm und Florian Fickel produzierte Film „Lisette und ihre Kinder“ in die Kinos. Sigrid Klausmann führte bei dem Film Regie.
GOOD NEWS: Mit den Fernsehserien „Girl Friends“ und „Nikola“ sind Sie als Schauspieler bekannt geworden. Beim Dokumentarfilm „Lisette und ihre Kinder“ waren Sie als Produzent beteiligt. Wie haben Sie diese neue Aufgabe erlebt?
Walter Sittler:
Die Arbeit eines Produzenten ist vielfältig und unglaublich anstrengend. Man muss kämpfen und versuchen, Menschen für ein Projekt zu begeistern. Bis dahin ist es ein langer Weg. Aber die Arbeit macht Vergnügen.
GOOD NEWS: Der von Ihnen mitproduzierte Dokumentarfilm „Lisette und ihre Kinder“ läuft seit 30. April im Delphi in Stuttgart. Können Sie beschreiben, worum es in dem Film geht?
Walter Sittler: Das kann die Regisseurin sicherlich noch besser als ich.
Sigrid Klausmann: In dem Film „Lisette und ihre Kinder“ begleitet die Kamera die Stuttgarter Erzieherin Lisette während ihres letzten von 33 Berufsjahren. Wir beobachten Lisettes Arbeit mit drei Kindern.
GOOD NEWS: Was ist das Besondere an Lisettes Arbeit?
Sigrid Klausmann: Das Besondere an Lisette sind die Schwerpunkte, die sie setzt. Sie lässt den Kindern Freiräume. Denn nur, wenn sie Freiräume haben, können sie sich so entfalten, wie es ihrem Potenzial entspricht. Lisette geht auf Augenhöhe mit den Kindern und behandelt sie nicht wie Kinder, sondern wie Menschen. Sie sagt, die Kinder brauchen Kreativität, um „die Dinge, die sie nicht wissen, lösen zu können.“
Walter Sittler: Ein ganz wichtiger Ansatz von ihr ist, dass sie die Kinder da abholt, wo sie sind. Sie hat kein Raster, in das die Kinder nach drei Jahren passen müssen, sondern die Kinder sollen das werden, was sie mitbringen.
GOOD NEWS: Ist dieses Raster etwas, was Sie in der heutigen Zeit beim Umgang mit Kindern stört?
Walter Sittler: Ja, das finde ich geradezu fahrlässig und gefährlich. Es werden zu einem gewissen Zeitpunkt Fertigkeiten verlangt, anstatt die Kinder zu fördern. Anstatt zu fragen: Was fehlt ihnen, was brauchen sie? Manche brauchen einfach Zeit. Dass heute niemand mehr Zeit hat, führt dazu, dass die Dinge, die wir für ein gutes Zusammenleben brauchen – etwa wie man Konflikte löst – auf der Strecke bleiben.
GOOD NEWS: War das früher anders? Sie haben Ihre Schulzeit in Internaten verbracht. Da gab es doch sicher auch Leistungsdruck?
Walter Sittler: In meiner Schulzeit war wichtig, dass man durchkommt, aber man muss keine 0,9 haben. Insgesamt waren die Pädagogen auch nicht besser als jetzt. Nur unsere Welt war nicht so wahnsinnig aus den Fugen geraten. Es gilt heute nur noch: Du musst in deinem Fach der Beste werden und du musst das meiste Geld verdienen. Jetzt sind wir in einer Situation, wo wir merken: Das ist eine Katastrophe. Geld muss ein Mittel sein, die Welt schöner zu machen, aber nicht, sich zu befriedigen.
GOOD NEWS: Ihre eigenen Kinder waren auch in der Eltern-Kind-Gruppe bei Lisette.
Walter Sittler: Ja, vor langer Zeit.
GOOD NEWS: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über diese Eltern-Kind-Gruppe zu drehen?
Walter Sittler: Meine Frau hatte vor fünf, sechs Jahren schon die Idee, einen Film über diese Art der Erziehung zu machen. Dass man diese Art des Zugangs, wie man einen Kindergarten formen kann, erhalten muss. Die Idee hat sie mit einem Jungfilmer aus Ludwigsburg eingereicht für eine Dokumentarfilm-Förderung. Sie sind leider kurz vor dem Ziel ausgeschieden. Damit lag das Projekt zunächst auf Eis. Dann kam Lisettes letztes Berufsjahr und es hieß: jetzt oder nie.
Sigrid Klausmann: Dann haben wir Florian Fickel, den heutigen Mitproduzenten des Films, kennengelernt, der einen Dokumentarfilm über ein ähnliches Thema machen wollte. So kam das Projekt zustande.
GOOD NEWS: Herr Sittler, nachdem Sie nun als Produzent tätig waren: Sehen wir Sie dieses Jahr wieder als Schauspieler?
Walter Sittler: Ja. Mit dem Kästner-Soloprogramm stehe ich im Herbst wieder auf der Bühne. Dann gibt es eine Weihnachtskomödie für das ZDF, die wir im Herbst zu Ende drehen. Und dann bin ich noch zweimal für „Der Kommissar und das Meer“ auf Gotland im Juni und Juli.
GOOD NEWS: In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie mit dem Wort „Heimat“ nicht viel anfangen können. Was bedeutet Stuttgart für Sie?
Walter Sittler: Ich bin einfach viel unterwegs, bin in Amerika geboren und auch in Deutschland dauernd umgezogen. Aber jetzt sind wir schon seit über 20 Jahren in Stuttgart. Ich könnte mir vorstellen, dass sich Heimat so ähnlich anfühlt.
GOOD NEWS: Sie sind damals des Theaters wegen nach Stuttgart gekommen.
Walter Sittler: Ja. Danach gab es Überlegungen, wegzuziehen. Wir haben uns dann entschieden, hier zu bleiben. Weil die Kinder hier zur Schule gegangen sind und weil man hier in Ruhe groß werden kann. Es ist ein guter Ort, eine große Stadt, ohne eine Großstadt zu sein. Es ist viel los hier. Man kriegt mit, was in der Welt los ist, wird aber vielleicht nicht so beschädigt. Menschen, die sagen: „Die Welt ist überall schöner als in Stuttgart“, haben keine Ahnung.
GOOD NEWS: Wie lautet Ihre gute Nachricht des Monats?
Walter Sittler: Die gute Nachricht des Monats ist, dass die Hoffnungen in den neuen amerikanischen Präsidenten – ich bin ja gebürtiger Amerikaner – sich zu bewahrheiten scheinen. Weil er keine Scheu hat, zu sagen, wo die eigenen Fehler in der Vergangenheit liegen.
Sigrid Klausmann: Die zweite gute Nachricht ist natürlich, dass unser Film in Stuttgart läuft (lacht) .
GOOD NEWS: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für den Film „Lisette und ihre Kinder“. (VP)
Steckbriefe
Name: Walter Sittler
Geburtstag/Geburtsort: 5. Dezember 1952 in Chicago
Beruf: Schauspieler, Produzent
Werdegang:
Studium an der Falckenberg-Schule für Schauspiel in München
1981 Debüt am Mannheimer Nationaltheater
1988 - 1995 Engagement am Stuttgarter Staatstheater
2006 - 2009 Drei Deutschland-Tourneen mit Solo-Programm „Als ich ein kleiner Junge war“ über die Kindheit des Autors Erich Kästner
Auszeichnungen:
1998 Adolf-Grimme-Preis für „Nikola“
2003 und 2005 Deutscher Fernsehpreis für „Nikola“
2009 Erich-Kästner-Preis für „Als ich ein kleiner Junge war“
Name: Sigrid Klausmann
Geburtstag/Geburtsort: 10. Januar 1955 in Furtwangen/Schwarzwald
Beruf: Sport- und Gymnastiklehrerin
1981-2001
Tänzerin und Choreographin
seit 2003
Dokumentarfilmregisseurin
"Kinder brauchen Freiräume", sagt Dokumentarfilmregisseurin Sigrid Klausmann.
Findet an seiner Tätigkeit als Produzent Gefallen: Walter Sittler.