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Bericht von Johannes Müller
Vermittler zwischen zwei Welten
Vermittler zwischen den Welten. Die Übersetzer der ISAF.
Es ist kurz nach 19 Uhr. Die Sonne steht bereits tief und scheint gerade noch über das Gebirge, das Afghanistan von Pakistan trennt. Etwas Wehmut setzt ein. Morgen fliege ich nach Bagram, von da aus nach Kabul und dann über Istanbul nach München. Zehn Tage war ich mit dem amerikanischen Militär in der für mich unwirklichen Realität Afghanistans unterwegs. Begleitet hat mich dabei stets Jackson, der afghanische Übersetzer, der hier zwischen zwei Welten vermittelt. Übersetzen ist in Afghanistan so eine Sache. Es ist nicht damit getan, das gesprochene Wort aus Dari oder Paschtu eins zu eins ins Englische zu übersetzen. Afghanen sprechen in Bildern, die weit über das Eigentliche hinausgehen. Auf die Frage nach der allgemeinen Stimmung, beginnt die Antwort mit einem „großen Berg“ und dem „Schatten im Tal, durch das der Fluss fließt, auch wenn er vereist ist“. Das bedeutet ein bisschen mehr als: „Passt schon.“
Spezielle Methoden
Jackson sitzt neben mir. Ich will ihm ein paar Fragen stellen. Er wirkt abgeklärt. Im wahren Leben heißt er nicht Jackson. Natürlich hat er einen afghanischen Namen, einen sehr schönen Namen sogar. Aber den darf ich nicht nennen. Gleiches gilt für Fotos. Es wäre zu gefährlich für ihn und auch für seine Familie. Die Taliban schätzen es nicht, wenn Afghanen mit den ausländischen Militärs zusammenarbeiten – ganz besonders mit den amerikanischen. Und sie haben sehr spezielle Methoden, um diese sogenannten Kollaborateure zu bestrafen. Es ist unfassbar, zu welchen Gräueltaten manche Menschen fähig sind.
Der Gebildete in der Familie
Jackson Eltern stammen ursprünglich aus der Loja Paktika, aus der großen Paktikaprovinz, die vor circa 60 Jahren aufgeteilt wurde. Heute besteht das Gebiet aus Paktika, Khost, und Paktia. Jackson sollte der Gebildete der Familie werden, also schickten seine Eltern ihn zur Schule und auf die Universität. Danach arbeitete er zunächst als Englisch-Lehrer in Kabul. Als die ISAF nach Afghanistan kam, begann seine Arbeit für die Regierung. Seit vier Jahren übersetzt er nun für die ISAF in der Paktika Provinz.
Kommunikation ist alles
„Warum machst du das?“ frage ich ihn. „Als Dozent an der Uni wäre dein Alltag vermutlich deutlich entspannter, oder?“ Jackson beginnt: „Meiner Meinung nach ist Kommunikation im Moment das Wichtigste. Denn wie soll sich Afghanistan der Welt mitteilen? In Paschtu? Auf Dari? Nein, das funktioniert nicht.“
Das Risiko ist groß
Er betont: „Wenn Afghanistan mit der Welt kommunizieren will, dann muss das Volk englisch sprechen. Darum helfe ich mit meinen Sprachkenntnissen.“ Klingt vernünftig. „Sehen das alle so?“ frage ich weiter und er schüttelt den Kopf. „Nein. Und tatsächlich riskiere ich mit diesem Job mein eigenes Leben und das meiner Eltern.“ Ich bin schockiert, darum erklärt Jackson: „Der ISAF und vor allem den Amerikanern zu helfen bedeutet, dass ich selbst zum Infidel, zum Ungläubigen, werde. Geh in die falsche Ecke der Stadt – und sie schneiden dir den Kopf ab.“
Der Beitrag zum Frieden
Hat er keine Angst? „Doch, sehr“, gesteht er, auch wenn er dabei keine Miene verzieht. Ich bohre nach: „Wie kommst du damit klar?“ Jackson sieht mich mit bestimmtem Blick an. „Ich denke, jeder Beitrag zum Frieden in Afghanistan ist das persönliche Opfer wert, selbst das eigene Leben“, sagt er und ich weiß: Er meint es so, wie er es sagt. Wir haben immer noch weit über 30 Grad und mir fröstelt, denn ich beginne zu begreifen, was er für ein Leben führt. Er will das Land voran bringen, dem Land helfen – und könnte jeden Moment mit seinem Leben dafür bezahlen.
Ein Ungläubiger
„Wie sehen das deine Eltern?“, will ich nun wissen. „Ich habe im Vorfeld lange mit ihnen gesprochen. Für sie ist in Ordnung, dass ich das eine Weile mache.“ Wie gehen seine Freunde damit um? „Seitdem ich diesen Job mache, haben sich viele distanziert. In ihren Augen bin ich ein Ungläubiger – und ihrer Meinung nach werde ich als solcher sterben.“ Was das bedeute, frage ich. „Vermutlich gewaltsam“, antwortet er. Das ist hart. „Ja, sehr!“, sagt Jackson.
Viele sind traumatisiert
Aber er weiß selbst nicht, wieso sie das sagen. „Viele von ihnen sind vermutlich neidisch, weil ich es in einer gewissen Art und Weise zu etwas gebracht habe. Andere wiederum können einfach nicht mehr geradeaus denken“, versucht er zu erklären. „Sieh mal, wir haben nun fast dreißig Jahre Krieg hinter uns: die Stammeskriege, die Sowjets, die Taliban und nun die ISAF gegen die Aufständischen. Das haben nicht alle einfach so weggesteckt. Viele sind traumatisiert. Paschtunwali hat sich verändert.“
Falsch verstanden
Paschtunwali ist der Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen und zählt zu den sogenannten Stammesgesetzen. Er übernimmt eine sowohl ideelle als auch physische Schutzfunktion der Familie, des Stammes, der Nation und der Ehre. „Was hat das damit zu tun?“ möchte ich wissen. „Viel wurde bewusst oder unbewusst missinterpretiert, teilweise durch gebildete Aufständische, um die ungebildete Landbevölkerung für ihre Sache zu gewinnen“, so Jackson. Das höre ich nicht zum ersten Mal. Bereits einige der lokalen, Politiker mit denen ich während der letzten Wochen gesprochen habe, sagten Ähnliches. Ich hake nach: „Ähnlich wie der Koran teilweise zur Radikalisierung bewusst fehl- oder überinterpretiert wird?“ Jackson sieht mich an. „Exakt“, sagt er. „Oder das Alte Testament.“
Ohne Wohlstand keine Bildung
„Das heißt, die Vermittlung von Paschtunwali und Koran sollte fokussiert angegangen werden?“, frage ich. „Ja, das ist sehr wichtig“, entgegnet der Übersetzer. „Aber natürlich auch generelle Bildung wie Sprachen, Wissenschaften, Kultur. Bildung ist die Voraussetzung für Wirtschaft, Wohlstand und damit Stabilität.“ So einfach ist das aber nicht, wenn ich mich an das Gespräch mit dem Stabchef der Region erinnere: ohne Wohlstand keine Bildung, ohne Sicherheit auch nicht. „Absolut richtig,“ sagt auch Jackson.
Aufdrängen hilft nichts
„Genau an diesen Pfeilern müssen wir arbeiten – das eine geht nicht ohne das andere.“ Doch die Bildung, das Streben danach, müsse von der Bevölkerung selbst ausgehen. „Etwas von Außen aufdrängen bringt nichts. Das wird niemals akzeptiert – im Gegenteil“, so Jackson. „Auf der anderen Seite sind wir natürlich auf die Erfahrung und Bildung von außerhalb angewiesen.“ Ganz schön kompliziert. Jackson nickt. „Manchmal komme ich auch ins Straucheln zwischen den beiden Seiten“, sagt er.
Auf das Wesentliche fokusiert
„Deine Übersetzungstätigkeit ist also wie eine Art Katalysator? Ein Vermitteln und Initiieren?“, fasse ich für mich zusammen. „Ja, richtig – das beschreibt es sehr gut“ meint Jackson und grinst. „Die Paschtunen waren einst das Bildungszentrum Südasiens. Menschen aus der Türkei und aus dem Irak kamen zu uns um ausgebildet zu werden. Das ist zwar schon eine ganze Weile her, aber dennoch ist es eine Chance. Denn die Menschen – zumindest diejenigen, die ob unserer Geschichte Bescheid wissen – wollen zu diesem Bildungsnationalstolz zurückkehren.“ Ich bin überrascht. „Das wissen leider die Wenigsten“, entgegnet Jackson. „Dabei wäre es ein wundervoller Anknüpfungspunkt, sich wieder auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren.“
„Glaub mir, es wird besser“
Ich frage mich, wie wohl Jacksons Zukunft aussieht. 2014 findet der offizielle Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan statt. „Ich werde mich zunächst absetzen und ein paar Traditionalisten aus dem Weg gehen“, beginnt er nüchtern. „Vielleicht gehe ich ins Ausland, um dort erst mal in Ruhe weitere Pläne zu machen – auch wenn ich der Überzeugung bin, dass bis 2014 noch viel geschehen wird.“ Afghanistan sei müde vom Krieg und Konflikt. „Wir wollen das nicht mehr“, sagt der Übersetzer. Er glaube fest daran, dass Afghanistan in fünf bis zehn Jahren stabiler und ruhiger sein wird als heute. „Schau dir die Situation an: In Kandahar konntest du vor fünf Jahren nicht von einem Dorf ins nächste fahren, ohne auf Taliban zu treffen – die Dorfbevölkerung hat mit den Aufständischen gemeinsame Sache gemacht“, erzählt er. „Heute sind sich die Menschen bewusst, dass der Weg der Aufständischen nicht der der Afghanen ist. Und sie fangen an, Taliban und Aufständische zu vertreiben. Glaub mir, es wird besser.“
Die ISAF legt viel Wert auf den Schutz ihrer „Interpretors“.
08.12.2012
(Ausgabe 08. Dezember 2012)