Improkessel-Festival

Die Genialität des Augenblicks

Das Impovisationstheater Wildwechsel.

Bahn fährt einem vor der Nase weg, der Besuch der ungeliebten Verwandtschaft will verhindert werden oder das Bier auf der eigenen Party geht viel zu schnell zur Neige. Das Theaterfestival Improkessel bringt vom 5. bis 9. Oktober 2011 Menschen auf Stuttgarts Theaterbühnen, die aus dieser Not eine Leidenschaft gemacht haben. Zum dritten Mal wird zum munteren Spontantheater geladen – jener unerreicht lebendigen und kreativen Spielwiese, die klassische Theaterkonventionen links liegen lässt und sich ganz in originelle Momentaufnahmen stürzt. Wie in den beiden Vorjahren, bestreiten auch 2011 wahre Profis der Improvisation das Programm.

Improvisationstheater ist wild und spontan

„Beim Improkessel treten die vier altgedienten Improvisationstheatergruppen Stuttgarts in Aktion“, erfahren wir von Organisatorin Kerstin Manz. Im Einzelnen sind dies: Der kleine Grinsverkehr aus dem Kulturzentrum Merlin, das Improvisationstheater Wildwechsel aus dem Studio Theater, die Neckarwerke aus dem Kulturwerk und die Wilde Bühne. Alle vier Improtheater sind alte Hasen im spontanen Geschäft. Bei den 1997 gegründeten Neckarwerken handelt es sich gar um die erste professionelle Improvisationstheatergruppe Stuttgarts. Denen macht man so schnell nichts vor – und über verpasste Bahnen oder schwindende Biervorräte können die Ensemblemitglieder wohl nur müde lächeln. Improvisationstheater ist anders, ist wild, spontan, überraschend und vor allem ziemlich schnell. Das muss man wissen, wenn man sich als Zuschauer auf den wilden Ritt einlässt. Immerhin ist auch das Publikum aktiv an der Gestaltung des Abends beteiligt und angehalten, den Schauspielern durch Zwischenrufe oder Stichworte neue Impulse, neue Herausforderungen zu geben.

Theaterkunst auf hohem Niveau

Kein Wunder, dass es hierbei regelmäßig zu originellen, bisweilen haarsträubenden Szenen kommt, die sowohl die Akteure als auch die Zuschauer so schnell nicht vergessen werden. Dieser ganz besonderen Situation ist auch Kerstin Manz längst erlegen. „Was ich am Improvisationstheater so faszinierend finde, ist die Genialität des Augenblicks. In Sekunden entstehen wahnsinnige Geschichten, werden unvergessliche Charaktere erschaffen. Es ist ungeprobt und unvorhersehbar“, erzählt sie begeistert. Und Recht hat sie: Auf ihre ganz eigene Art und Weise stehen die vier Ensembles für einzigartige Theaterkunst auf hohem Niveau, die zu keiner Sekunde langweilig wird. Fünf Tage im Zeichen improvisierter Kunst auf der Bühne – da ist viel Platz für Experimente und ungewöhnliche Programmpunkte. Los geht’s am Mittwoch, den 5. Oktober 2011, mit jeweils halbstündigen Specials der vier Improgruppen. Vom Kurzkrimi über musikalische Ausflüge bis hin zum publikumsgesteuerten Auftritt ist im Studio Theater schon am Eröffnungstag zu erleben, wie vielseitig dieses Genre ist.

Hobbygruppen sprießen aus dem Boden

Dem steht die Vielseitigkeit der Besucher übrigens nichts nach, wie die Organisatorin darlegt. „Den typischen Impro-Besucher gibt es nicht. So vielfältig wie die Stücke präsentiert sich auch das Publikum – von Kindern samt ihren Eltern über junge Erwachsene bis hin zu Senioren ist in der Regel alles dabei.“ Auch wenn die Improtheaterszene im Kessel laut Kerstin Manz derzeit einen regelrechten Aufschwung erlebt und vielerorts Hobbygruppen aus dem Boden sprießen, war die Resonanz schon bei der ersten Auflage des Improkessels 2009 sehr gut. „Das Festival wurde von Anfang an gut angenommen“, freut sie sich und blickt zuversichtlich auf das dritte Improvisationsspektakel. Das Programm jedenfalls sieht äußerst vielversprechend aus: Am Freitag, den 7. Oktober 2011, steht im Merlin „Film ab!“ auf dem Programm, ein abendfüllendes Improvisationsstück, das nicht zu Unrecht als „Königsdisziplin“ bezeichnet wird.

Kunstströmungen werden zu einem Performanceerlebnis vereint

Und so funktioniert‘s: Das Publikum wählt ein Filmgenre, die Klappe fällt und schon beginnt eine faszinierende und spannende Geschichte – mit garantiert unerwartetem Ende. Gleich danach wartet bei „Crossarts“ eine echte Premiere. Künstler aus den verschiedensten Sparten (Musik, Theater, Malerei und Poesie) treffen aufeinander, um die an sich grundverschiedenen Kunstströmungen zu einem Performanceerlebnis zu vereinen. Was wäre der Mensch auch ohne Herausforderungen? Der Nachwuchs der aufblühenden Improszene bekommt einen Tag zuvor die Möglichkeit, sich dem Stuttgarter Publikum zu präsentieren. Im Rahmen des „Kesselkapp“ verbünden sich Mitglieder der vier Improkessel-Gruppen mit Neulingen und Mitgliedern weiterer Stuttgarter Theatervereinigungen, um in zufällig zusammengestellten Spielerkombinationen in den direkten Wettstreit zu treten.

Auch das schönste Scheitern wird prämiert

Besonders interessant: Neben den besten Momenten wird beim Kesselkapp auch das schönste Scheitern prämiert. Ein bittersüßer Gewinn zwar, aber immerhin ein Gewinn. Weniger konkurrenzgeprägt, aber nicht minder spannend präsentiert sich das Kinderprogramm. Am Sonntag, den 9. Oktober 2011, lädt das Merlin zum „Mitmachmärchen“. Was man sich darunter vorzustellen hat, sagt bereits der Titel: Dürfen es Drachen, Prinzessinnen und Ritter sein? Oder doch eher Weltraumcowboys, Außerirdische und Raumschiffe? Der Fantasie sind hier noch weniger Grenzen gesetzt als sonst, Spaß, Vorstellungskraft und Kinderlachen stehen an vorderster Front. Übrigens: Auch Erwachsene ohne Alibikinder sind hier gern gesehene Gäste. Wäre ja noch schöner, wenn solch ein Spaß nur Kindern und Eltern vorbehalten wäre! Wenn die große Abschlussgala am Samstag, den 8. Oktober 2011, steigt und die vier Gruppen sowie den Sieger des Kesselkapps ein letztes Mal gemeinsam auf die Bühne bringt, liegt so manches unvergessliche Improvisationserlebnis hinter dem Stuttgarter Publikum. Zusammen mit den ambitionierten Workshops, die Hobby-Impro-Akteuere in Sachen Bühnenpräsenz, Geschichtenerzählen und vielem mehr schulen, wird sich auch diese Veranstaltung in den lebendigen Kulturkosmos dieser Stadt einreihen. Und das ganz ohne Improvisation. (BS)

Weitere Informationen:

19.09.2011
(Ausgabe 17. September 2011)