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Der Geigen-Derwisch aus England: Nigel Kennedy. (Bild: Rankin)
Nigel Kennedy in Stuttgart
Wandlungsfähiger Violin-Star
Er gilt als Enfant Terrible und Paradiesvogel der Klassikwelt – weit über die Grenzen dieser Welt hinaus ist er als famoser Violin-Solist, als überzeugender und kraftvoller Interpret und für seine mitreißenden Bearbeitungen altbekannter Kompositionen berühmt: Nigel Kennedy. Seine Interpretation von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ brachte ihm 1989 nicht nur internationale Bekanntheit ein. Die Aufnahme ist bis heute das meistverkaufte Klassikalbum aller Zeiten. Weniger bekannt ist die andere Seite des Werkes des göttlichen Geigers und ewigen Polarisierers. Der „andere“ Kennedy jammt jazzig mit der Nigel Kennedy Band. Wie viel Spaß ihm das macht, zeigte der Brite am vergangenen Montagabend im Stuttgarter Theaterhaus am Pragsattel. Gemeinsam mit vier exzellenten polnischen Jazzmusikern begeisterte Kennedy das Publikum in einem ausverkauften Saal mit virtuosem Jazz.
Abwechslungsreiche Klangwelten
Der Ideenreichtum seiner Kompositionen entfaltete sich in beinahe jedem Stück. Kennedy erzeugte mit seiner EGeige und einer Batterie an Effektgeräten abwechslungsreiche und stets interessante Klangwelten: mal verträumt, mal verzerrt, mit außergewöhnlichen Steigerungen und Tempowechseln. In melodischen Soli verlor sich Kennedy und wurde ein ums andere Mal zum Derwisch an seinem Instrument. Zurückhaltender, aber in der musikalischen Qualität auf Kennedys Niveau, glänzten Drummer Krzysztof Dziedzic, Bassist Adam Kowaleski, Tastenakrobat Piotr Wylezol und Saxophonist Tomasz Grzegorski als seine Begleiter. „Ich bin von Natur aus Improvisator“, betont Kennedy in Interviews immer wieder. Dass das Stuttgarter Publikum diesen Kennedy und seinen Jazz so dankbar annahm, machte den Musiker sichtlich glücklich. Drei Stunden lang rackerte das Quintett für sein Publikum, feixte mit den Gästen und gab eine Zugabe nach der anderen, unter anderem mit Kompositionen, für die Gitarrenlegende Jimi Hendrix Pate stand.Im November erneut in Stuttgart
Dass seine Arbeit mit elektronischen Effekten eben nicht Dogma, nicht bloßer Effekt ist, sondern Teil seiner Tonschöpfung, zeigte Kennedy in einem kleinen Exkurs. Auf der Holzvioline spielte Nigel reduziert, mit viel Gefühl und Leidenschaft. Bei eingefleischten Jazz- Fans ist diese Seite des Geigenvirtuosen bereits länger bekannt, mittlerweile legendär sein Album „The Blue Note Sessions“. Zuletzt machte er in diesem Bereich der Musik mit der Platte „Shhh!“ auf sich aufmerksam. Jazz-Altmeister Stephane Grappelli war es, der Nigel Kennedy das enorme Jazz-Potenzial der Violine nahebrachte, während er gerade als Jungstudent an dem letzten Schliff für sein klassisches Violinspiel arbeitete. Doch der wandlungsfähige Künstler bleibt weiter Grenzgänger zwischen verschiedenen Musikstilen. „Wer will, kann mich einen klassischen Geiger nennen. Ich selbst verstehe mich als einen Musiker, der einfach Musik spielt – und nicht nur eine Art von Musik“, so Kennedy. Am 2. November 2011 ist Nigel Kennedy erneut zu Gast in Stuttgart. Dann so, wie ihn die meisten seiner Fans kennen und lieben: Mit den „Vier Jahreszeiten“ gastiert der britische Geigen-Derwisch gemeinsam mit seinem „Orchestra of Life“ in der Liederhalle. (HMU)
06.05.2011
(Ausgabe 07. Mai 2011)