In seinen Kolumnen und Geschichten zeichnet Joe Bauer sein eigenes Bild von Stuttgart. (Bild: Bea Pötzsch)

Interview mit Joe Bauer

"Man kann hier gut leben"

In seinem neuen Buch wird Joe Bauer von einem Freund und Kollegen, dem „Zeit“-Kritiker Peter Kümmel, als „einer der letzten unverborgenen Sturköpfe der Stadt“ beschrieben. Im Gespräch stellt sich heraus, dass das weder gelogen noch böse gemeint ist.

GOOD NEWS:
Herr Bauer, Sie sind als Journalist und Kolumnist berühmt und auch ein bisschen berüchtigt. Wie lange haben Sie an diesem Ruf gearbeitet?

Joe Bauer: Ich bin weder berühmt noch berüchtigt. Die Leser der Stuttgarter Nachrichten kennen mich aufgrund meiner Kolumne „Joe Bauer in der Stadt“ – das ist nicht gerade ein Millionenpublikum. Ich habe mit 18 Jahren angefangen, als Journalist zu arbeiten. Die Kolumne schreibe ich seit 1997.

GOOD NEWS: In einer Ihrer jüngsten Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten kam Ministerpräsident Oettinger ziemlich schlecht weg.

Joe Bauer: Ich habe lediglich die Fettnäpfe, in die Herr Oettinger getreten ist, in einen humorvollen Zusammenhang gestellt.

GOOD NEWS: Jedenfalls haben Sie die seltene Möglichkeit, öffentlich zu schreiben, was Sie denken. Ist das nicht herrlich?

Joe Bauer: Na ja, die Kolumne war ja in dieser Form weder geplant noch ist sie dazu da, dass ich jedes Mal etwas Lustiges, Polemisches oder besonders Kritisches schreibe. Diese Kolumne hat sich entwickelt, ich hatte früher schon als Redakteur Spaß daran, über unterschiedliche Themen aus Sport, Kultur, Lokalpolitik zu schreiben.

GOOD NEWS: … aber stets durch Ihre Brille und mit einem besonderen Blick auf die Stadt Stuttgart.

Joe Bauer: Als ich jung war, hatte ich als Schreiber und Leser den Eindruck, dass sich in Zeitungen – egal, ob in Stuttgart, München, Hamburg oder Berlin – die Stadt, um die es geht, nicht widerspiegelt. Viele Artikel behandelten nur bürokratische Vorgänge. Das, was die Stadt wirklich ausmacht, kam nur am Rande vor. Das gilt auch für die endlose Diskussion um das sogenannte Image von Stuttgart. Das, was Stuttgart ist und die Stadt auszeichnet, wurde nie gründlich aufgearbeitet. Aus Bequemlichkeit und Ideenlosigkeit hat man sich davon leiten lassen, auf andere Städte zu schauen und zu kopieren.

GOOD NEWS:
Inwiefern?

Joe Bauer: Das fängt an bei einfachen Dingen, die nicht aus Stuttgart heraus entstanden sind, sondern einfach importiert wurden: die Eisbahn mit ihren Frittenfett-Buden am Schlossplatz, der stupide Zungenbrecher „S-City leuchtet“ in Anlehnung an „München leuchtet“ oder unsinnige Projekte wie der Trump-Tower. Hinter all diesen Ideen findet man keine Linie, sondern das Stadtrat- Motto: „Das habe ich als Steuergeld- Tourist in New York, München oder Frankfurt gesehen, das will ich auch in Stuttgart haben.“ Interessanter wäre, die eigene Stadt, ihre Ressourcen, ihren Charakter darzustellen.

GOOD NEWS: Deshalb haben Sie die Figur des Spaziergängers wieder aufgenommen, der über das schreibt, was er sieht?

Joe Bauer: Ja, auch.

GOOD NEWS: Man könnte auch sagen, Sie sind ehrlich und schauen auch mal dahin, wo andere wegschauen.
Joe Bauer: Ich zeichne kein negatives Bild von Stuttgart und den Menschen, die hier leben, sondern mein eigenes. Unsere Stadt besteht nicht nur aus Mercedes, Porsche und Häuslebauern. Wir haben eine einzigartige Topografie, einen vergessenen Fluss, Weinberge mitten in der Stadt, gute Kultur.

GOOD NEWS: Gehen Sie immer allein spazieren?

Joe Bauer: Ja, das ist wichtig. Man ist konzentriert und läuft nicht mit dem üblichen Schaufensterblick durch die Stadt. Ich fahre Bus und Bahn, weil man so mehr mitbekommt von den Menschen. Aber man darf sich nicht vorstellen, dass ich planmäßig ausrücke, um mit einer Geschichte zurückzukehren. Viele Geschichten füge ich im Nachhinein, nach verschiedenen Begegnungen, zusammen.

GOOD NEWS: Ihr Buch „Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner“, das gerade erschienen ist, handelt von Ihren Spaziergängen, aber auch von Begegnungen und Anekdoten aus der Vergangenheit.

Joe Bauer: Der Leichenschmaus nach dem Begräbnis der RAF-Terroristen im Oktober 1977 ist so eine Geschichte. Normalerweise beschreibe ich nur Dinge, die ich in irgendeiner Form selbst erlebt habe oder mit denen ich direkt konfrontiert wurde. Ich war damals nicht im Degerlocher „Fässle“ dabei, hatte aber das Glück, die Wirtsleute Eugen Maier und seine Frau Inge zu kennen. Sie haben mir erzählt, wie sie die Situation vor, nach und am Tag der Trauerfeier erlebt haben. Solche Geschichten müssen einfach aufgeschrieben werden, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.

GOOD NEWS: Neben dem Schreiben betreiben Sie „Joe Bauers Flaneursalon“. Was passiert dort?

Joe Bauer: Der Flaneursalon ist wie eine Rock’n’Roll-Band. Wir ziehen durch die Stadt – von der Friedenau im Osten in die Rosenau im Westen, vom Theaterhaus in Feuerbach in die Uhu-Bar im Leonhardsviertel. Dabei verfolge ich ein ähnliches Prinzip wie beim Schreiben. Ich bastle assoziativ und mit schnellen Schnitten an einer kleinen Dramaturgie, in diesem Fall an einer Show mit den Elementen Lesung, Konzert, Komik. Wichtig sind vermeintlich harte Kontraste, die sich auflösen.

GOOD NEWS:
Was lieben Sie an Stuttgart ganz besonders?

Joe Bauer: Es gibt in Stuttgart alles, was ich brauche: ein bisschen Stadt, ein bisschen Dorf. Kinos, Bühnen, grüne Landschaften, internationales Leben, hervorragende Küche, schnelle Fluchtwege. Man kann hier gut leben.

GOOD NEWS: Herr Bauer, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch. (RC)
Steckbrief
Name:
Joe Bauer

Geburtstag/Geburtsort:
14. Juni 1954 in Schwäbisch Gmünd
Beruf:
Autor und Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten
Buchveröffentlichungen:
Ich gebe alles. Ein mentaler Anpfiff“, Berlin 2000
„Gefangen in Cleverly Hills. Stuttgarter Glossen und Geschichten“, Stuttgart 2003
„Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner. Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart“, Berlin 2009

28.11.2009
(Ausgabe Dezember 2009)