Interview mit Kurt Weidemann

Ungeschütztes Denkmal

Bilder: Bea Pötzsch
"Ich sage Dinge auf die Gefahr hin, dass sie so verstanden werden, wie ich sie meine."
Selten ohne Hut: der Stuttgarter Gestalter Kurt Weidemann in der Gartenlaube seines Stellwerks am Westbahnhof.

Wir treffen Kurt Weidemann in seinem Stellwerk am Westbahnhof. Ab und zu rauscht auf der Gäubahn ein Zug vorbei. Aber auch das hält den fast 87-jährigen Weidemann nicht davon ab, ohne Unterbrechung zu reden.

GOOD NEWS: Schön ist es hier. Seit wann arbeiten Sie hier im Stellwerk?

Kurt Weidemann: Ich werde im September ein kleines Fest zum 10-jährigen Jubiläum machen. 1999 habe ich das Stellwerk von der Bahn gekauft. Es wurde 1927 gebaut und war voll in Betrieb, als hier nicht nur zwei, sondern acht Gleise verliefen.

GOOD NEWS:
Das heißt, das Stellwerk ist fünf Jahre jünger als Sie.

Kurt Weidemann: Das ist richtig, aber es steht – anders als ich – unter Denkmalschutz. Es wurde damals in Sichtbetonweise gebaut, was in dieser Zeit revolutionär war.

GOOD NEWS: Wie und wann sind Sie überhaupt nach Stuttgart gekommen?

Kurt Weidemann: Das war 1953. Ich wurde mit 17 Jahren in den Krieg eingezogen, brachte es mit vielen Verwundungen und Auszeichnungen bis zum Oberleutnant und kam 10 Jahre später aus der Kriegsgefangenschaft in Russland zurück nach Deutschland. In Lübeck lernte ich Schriftsetzer, so richtig mit Bleibuchstaben. Einer meiner Brüder ging dann zum Architekturstudium an die Technische Hochschule Stuttgart, die damals noch in der 3. Etage der Kunstakademie untergebracht war. Als ich ihn besuchte, sagte er: Kurt, einen Stock tiefer sind Leute, die wie du so Bleisoldaten hin- und herschieben. Das habe ich mir angeschaut und konnte gleich mit dem Studium beginnen. So kam ich nach Stuttgart.

GOOD NEWS: Und Sie sind hier geblieben.

Kurt Weidemann: Ja, ich war vier Semester an der Akademie und ging danach in die Praxis. Der Schriftsetzer war in den 1950er-Jahren nach dem Bergarbeiter der bestbezahlte Handwerker in der Bundesrepublik. 1962 hat man mich dann als Professor an die Stuttgarter Akademie berufen, und zwar auf einen Lehrstuhl, den es bis dahin noch gar nicht gab: ein Lehrstuhl für Information und Grafische Praxis.

GOOD NEWS: In den 1980er-Jahren haben Sie die Hausschrift für Daimler entworfen und das Porsche-Logo überarbeitet. Was hat Sie mehr gereizt?

Kurt Weidemann: Grundsätzlich sind die beiden Arbeiten nicht vergleichbar. Allein der Entwurf und die Ausarbeitung der Schriftfamilie Corporate A, S und E hat Jahre in Anspruch genommen. Bei Porsche ging es um den Schriftzug und die Hausfarbe. Erstaunlich ist, dass ich überhaupt für beide Stuttgarter Automobilhersteller tätig werden konnte. Ich arbeitete anfangs hauptsächlich für Daimler-Benz – was natürlich Konkurrenzausschluss bedeutete. Als die Anfrage von Porsche kam, habe ich als erstes Werner Niefer, den damaligen Mercedes-Chef, gefragt. Er meinte nur: Das läuft unter Nachbarschaftshilfe.

GOOD NEWS: Im Zuge der Wiedervereinigung haben Sie auch das Logo der Deutschen Bahn überarbeitet. Bei Günther Jauch in Stern-TV mussten Sie sich dafür rechtfertigen, dass Sie einfach nur aus dem eckigen Logo der DB ein Logo mit runden Ecken gemacht haben.

Kurt Weidemann: Günther Jauch fragte mich wie lange ich an dem Entwurf gearbeitet habe, für den ich angeblich so viel Geld bekam. Ich antwortete: 20 Minuten. Dafür habe ich 120.000 D-Mark bekommen und das Logo für alle Anwendungen – auf Gebäuden, Fahrzeugen, Uniformen, Druckwerken, etcetera – ausgearbeitet. Wenn Sie das umrechnen, sagte ich, kommt ein Stundenlohn heraus, für den würden Sie hier im Fernsehen noch nicht mal den Mund aufmachen. Darauf hat der Jauch dann nichts mehr gesagt.

GOOD NEWS: Sie konnten es sich erlauben, den sogenannten „Großkopferten“ immer wieder die Meinung zu geigen.

Kurt Weidemann: Na ja, ich musste dreißig Jahre lang auf das hören, was andere mir gesagt haben – in der Schule, im Krieg, in der Lehre, im Studium. Das habe ich mir dann irgendwann abgewöhnt. Von da an habe ich eben Dinge gesagt auf die Gefahr hin, dass sie so verstanden werden, wie sie gemeint sind – ganz gleich, ob ich es mit meinem Freund Alfred Herrhausen zu tun hatte oder mit Edzard Reuter und Jürgen Schrempp.

GOOD NEWS: In Ihrem Buch „Wo der Buchstabe das Wort führt“ schreiben Sie: „Gute Typographie bemerkt man so wenig wie gute Luft zum Atmen. Schlechte merkt man erst, wenn es einem stinkt.“ Hat sich aus Ihrer Sicht die Luft in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Kurt Weidemann: Ja. Das liegt vor allem daran, dass Gestalten und Schriftsetzen kein Handwerk mehr sind. Das war früher natürlich mühsamer als die Arbeit heute mit dem Computer und ausgefeilten Designprogrammen. Darüber ist aber auch die Sorgfalt verloren gegangen und die Wertschätzung für Typographie.

GOOD NEWS: Werden uns Bücher und gedruckte Zeitungen trotzdem erhalten bleiben?

Kurt Weidemann: Ja, natürlich. Es werden sicher weniger Druckwerke gelesen werden, aber dafür intensiver. Die Langsamkeit des Lesens ist und bleibt ein wichtiges Gut.

GOOD NEWS: Trotz Ihrer fast 87 Jahre sind Sie kerngesund und immer bei der Arbeit.

Kurt Weidemann:
Was soll ich denn sonst machen? Soll ich vielleicht einen Hund im Park spazierenführen? Um meine Gesundheit kümmere ich mich nicht wirklich. Mein Körper hat mir zu gehorchen. Und das tut er, weil er nichts zu sagen hat.

GOOD NEWS: Herr Weidemann, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch. (RC)


Steckbrief

Name: Kurt Weidemann

Geburtstag/Geburtsort: 15. Dezember 1922 in Eichmedien, Ostpreußen

Beruf: Schriftsetzer und Gestalter

Berufliche Großtaten: Gestaltung von Logos und Erscheinungsbildern u.a. für COOP, Zeiss, Mercedes-Benz, Daimler-Benz, Porsche und die Deutsche Bahn. Entwurf der Schriften ITC Weidemann, Corporate A, S und E (für Daimler-Benz), Klett Domus (für den Ernst Klett Verlag)

Ehrungen:
Lucky Strike Designer Award (1995)
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1996)
Ehrensenator der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (2006)

02.10.2009
(Ausgabe Oktober 2009)