November-Kolumne Klaus Birk
Alles super, alles Stuttgart: Besser schlecht als anderswo
Geht es Ihnen auch so gut? Alles ist so prima lebensschön. Okay, früher war alles besser. So super, dass man alles wieder aufbauen musste. Danach ging es uns dafür am besten in Welt. Und wie läuft’s jetzt? Okay, schlechter als gestern, aber besser als morgen. Alles ist relativ sagenhaft.
So gut wie heute geht es uns nie wieder, aber doch eben wunderbar. Schon allein im Vergleich zu anderen. Aber auch im Vergleich mit uns selbst. Alles ist super. Gut, der Job vielleicht nicht, der Feinstaub, die Liebe, die Rente und die Schulden nicht, aber sonst ist eben alles im Lot. Gut, die Stadtfinanzen nicht wirklich. Auch Schulen und Gesundheit könnten besser sein, aber der Rest ist super, bis auf die Probleme.
Aber wie sagt der Philosoph: „Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen. Der Fehler liegt im Denken!“ Genau: Uns geht es nur gedacht schlecht! „Denk anders und die Welt ist wie neu!“ Umdenken heißt die Devise. Wer anders denkt, der sieht auch anders. Schon erkennst du: Uns geht’s viel besser schlecht als den meisten auf der Welt. Wir müssen uns eben nur wieder gewöhnen, an die Zahnlücken in arbeitslosen Gesichtern; an alte Mäntel und Pullover; an ausgelaschte Schuhe und hungrige Augen.
Aber das gibt dir auch was: Freude über jeden Zahn, den du noch hast. Dreißigtausend Notleidende in Stuttgart. Allein bei dem Gedanken schmeckt dir doch das einfache Butterbrot wieder. Es muss nicht immer Kaviar sein. Früher hattest du ein schlechtes Gewissen, wenn du einen halben Big Mac in die Tonne gekloppt hast. Heute ist das die gute Tat. Du weißt: Den holt auf jeden Fall einer, der seinen Kindern eine Freude damit machen kann. Da gibt man gern.
Wer darüber nicht glücklich ist, freut sich nur falsch. Freude wohin das Auge tränt. Endlich werden auch die Mülltonnen hinter den Supermärkten leergegessen. Da sind wir ganz vorne mit dabei. Wo sonst gibt es so schön gefüllte Abfalltonnen? Da lacht dir Obst entgegen, Joghurt, Milch und Folienbrot. Da gibt’s lecker Knochen und aufgetaute Schnitzelscheiben. Und alles ganz frisch abgelaufen. Andere Gegenden haben gar keine Supermärkte und noch weniger Mülltonnen. Ja, hier gibt’s für jeden was. Hier kann auch der leere Geldbeutel noch schön essen gehn. Sagt neulich einer im Fernsehen: „Wir klagen auf hohem Niveau.“ Stimmt. Wer sich einmal einen plattgelasterten Igel von der Autobahn gegrillt hat, der weiß: Gutes muss nicht teuer sein.
Also lasst uns auf hohem Niveau Zufriedenheit schlürfen. Geld allein macht nicht glücklich. Und Arbeit macht nicht frei. Mit Nichts zufrieden sein, ist wahres Glück. Die Zeiten haben sich eben geändert. Und wer mit der Zeit geht, isst, was auf die Straße kommt. Wir gehen alle mit der Zeit. Einer nach dem anderen. Aber was machen die Unverbesserlichen? Bleiben und kritteln an allem rum. Wollen mehr. Wollen mehr Gerechtigkeit.
Kaum verliert einer die Arbeit, sitzt zwei Jahre zu Hause, hat keine Krankenversicherung mehr, schon geht das Gemecker los. Meckern ist „out“. Gemeinsinn ist „in“. Tu was für Dein Land. Mach uns glücklich. Trink Bier, schau fern und halt den Mund. Aber dafür ist eben nicht jeder gebaut. Wer nicht so viel schlu-cken kann, muss sich sein Glück woanders suchen. Da hilft nur geben, dem, der braucht. Denn geben ist seliger denn nehmen. „Gib alles und gib es gerne! Und Freude ziehet ein in dein Haus.“
Danach kann jeder glücklich und voller Stolz sagen: „Waren die Zeiten noch so einfach und der Reichtum noch so groß: Wir haben uns alles gegeben, was wir konnten.“ Und die nachfolgenden Generationen werden unsere Namen in ihre Höhlen ritzen und sich noch lange strahlend an uns erinnern.
31.10.2009
(Ausgabe November 2009)